1
Herr K. und ein Bahnhof
Nach der Volksabstimmung seien nur noch ein paar tausend Fanatiker gegen das Projekt; und er könne schließlich nichts dafür, wenn diese einen Bahnhof zu ihrem alleinigen Lebensinhalt gemacht hätten, sagte Herr K. Am Beispiel eines Bahnhofs kann man viel lernen, sagten die Leute.
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2
Herr K. und der Fortschritt
Jetzt, wo die Bäume gefallen sind, warum demonstriert ihr denn jetzt noch, fragte Herr K. Oh, sagten sie, wir halten dem Fortschritt die Treue.
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3
Herr K. und die Moral
„Kann ein anständiger Mensch etwa nicht für dieses Projekt sein?“ fragte Herr K.
„Oh doch,“ sagten sie, „zum Beispiel wenn er nicht rechnen kann.“
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4
Herr K. und die richtige oder falsche Zurückhaltung
„Das ist es ja gerade, was wir den anderen vorgeworfen haben,“ sagte Herr K., „dass sie Einfluss genommen haben. Deshalb halten wir uns jetzt zurück, denn wir wollen nicht selbst das tun, was wir den anderen vorgeworfen haben“.
Aber die Leute sagten: „…hätte der windige Schwarzwälder einen mäßigenden Einfluss ausgeübt, dann hätte ihm dies niemand vorwerfen können.“
Und sie sagten: „Vielleicht war es der falsche Vorwurf.“
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5
Die Fehlerkultur des neuen Herrn K.
Als Herr K. sagte, dass er sich unbehaglich fühle, sprang ihm ein großer Experte bei. Dieser argumentierte, er wisse, dass es sich um einen Fehler handle, aber diesen Fehler müssten wir jetzt eben leider begehen.
„Welchen Fehler?“, fragten die Leute. „Ein kleiner Fehler wäre vielleicht noch zu verzeihen“, meinten manche. „Ließe sich dieser Fehler rückgängig machen?“, fragten einige. „Sollten wir nicht versuchen, große Fehler, die nicht rückgängig gemacht werden können, zu vermeiden ?“
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6
Herr K. und die Wahrheit, I
In einer Zeit, in der Gottesdienste – natürlich nur einzelne Gottesdienste – überwacht wurden; und als immer neue Schandtaten von Polizisten, Mörderbanden und Geheimdiensten ans Licht kamen – natürlich nur von einzelnen Polizisten, einzelnen Mörderbanden und einzelnen Geheimdiensten – , da dachte Herr K., der Denkende, lautstark nach. Demokratie sei eine Angelegenheit von Mehrheiten, ließ er verlauten, und nicht eine Sache von Wahrheiten.
„Aber eine Lüge ist wie Falschgeld“, sagten die Leute, und: „Wer den Pfennig nicht ehrt, dem ist auch bei der Mark nicht zu trauen.“ Und sie fragten: „Können wir uns einen so nachlässigen Umgang mit der Wahrheit leisten?“
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7
Herr K. und sein Sparschwein
Als Herr K. bemerkte, dass eine Abstimmung über ein Sparschwein auch die Zertrümmerung einer Blumenvase rechtfertigt, wandten sich viele seiner einstigen Anhänger von ihm ab.
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8
Herr K. und die Kosten
Aber wir halten an dem Kostendeckel fest, sagte Herr K. Bei einem Fass ohne Boden, sagten die Leute, nützt auch ein Kostendeckel nichts.
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9
Herr K. und die Debatte
Aber wir werden keine Debatte darüber beginnen, sagte Herr K. Die Aufgabe der Regierung ist es nicht, sagten die Leute, über ganz offenkundiges Unrecht und über Verschwendung zu debattieren, sondern das Unrecht und die Verschwendung zu beenden.
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10
Herr K. und das Ende
„Wir sollten diese Debatten beenden!“, sagte Herr K.
„Er entwickelt sich zum Basta-Politiker,“ sagten die Leute.
„Denkt er, eine Basta-Politik würde das Land weiterbringen?“
„Er hat die Interessen des Landes aufgegeben“, sagten die Leute.
„Wenn wirklich noch keine bessere Lösung gefunden ist, dann sind die Debatten auch noch nicht zu Ende.“
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11
Herr K. und die Logik
„Es ist ein Schurkenstück“, sagten die Leute.
„Aber,“ entgegnete Herr K. „es hat eine Abstimmung gegeben.“
„Eine Abstimmung“ sagten die Leute, „kann die Logik nicht außer Kraft setzen“.
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12
Herr K. und die Schrift
„Es ist merkwürdig“, sagten die Leute, „dass er die Schrift an der Wand nicht erkennt.“
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13
Herr K. und das Alphabet
„Wer A sagt“, sagten die Leute, „muß doch nicht auch noch B sagen.“
“Aber ich kann die Baugrube,“ sagte Herr K. „doch nicht einfach wieder zuschütten.“
“Wo er recht hat,“ sagten die Leute, „da hat er recht.“
“Ja, wenn der Schaden erst angerichtet sein wird, dann wird es ein großes Jammern geben.“
“Wer zu weit gegangen ist,“ sagten sie, „für den könnte es schwierig werden.“
“Wenn unvorhergesehen Probleme auftreten, dann könnte es sein, dass es keine einfachen Lösungen mehr gibt.“
“Vielleicht wäre es manchmal doch besser, das Maul und die Grube erst gar nicht aufzureißen.“
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14
Herr K. und der Wahlkampf
„Das ist kein Wahlkampfthema!“ sagte Herr K.
„Oh, wie interessant!“ sagten die Leute. „Um welches Thema geht es?“
„Aber warum sollte das gerade im Wahlkampf kein Thema sein?“
„Gibt es da wieder etwas, das er uns verschweigen möchte?“
„Die Spatzen pfeifen es von den Dächern; denkt er etwa, dass wir das nicht wissen?“ „Wenn er es nicht hören möchte, dann müssen wir erst recht darüber reden!“
„Hat er vielleicht recht, und das Thema gehört wirklich nicht in den Wahlkampf?“
“Natürlich hat er recht, das Thema gehört vor Gericht!“
„Warum sollten wir ausgerechnet jetzt nicht mehr darüber sprechen?“
„Will er uns vergessen machen, wer dafür die Verantwortung trägt?“
„Nicht jeder, der eine Wahl gewonnen hat, ist auch ein guter Wahlkämpfer.“ sagten sie.
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15
Herr K. und die Ehre, I
„Er hat diese Ehrung verdient !“ sagte Herr K.
„Vielleicht könnte man das auch anders sehen“, sagten einige Leute empört; „könnte es sein, dass diese Ehrung weniger über den Geehrten verrät, als viel mehr über die Ehrenden“ ?
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16
Herr K. und der Weg
Auf einer seiner Wanderungen begegnete Herr K. einem Radfahrer, der rasch den Berg herunter gefahren kam. Als die Leute zur Seite wichen, kam der Radler mit quietschenden Bremsen zum Stehen. „Ich will nach Ulm“, sagte er, „bin ich hier auf dem richtigen Weg?“ „Aber nein“, sagte Herr K. „dieser Weg führt nach Wendlingen“.
„Oh,“ sagte der Fahrradfahrer, „dann muss ich mich aber beeilen“ und fuhr mit erhöhter Geschwindigkeit weiter den Berg hinab.
Die Umstehenden lachten. „Auch wenn er noch viel schneller fahren würde, dieser Weg führt nach Wendlingen, auf diesem Weg wird er nicht in Ulm ankommen“ sagten die Leute. „Wer in die falsche Richtung fährt, der verfehlt das Ziel“.
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17
Herr K. und das Scheitern
Es könne sein, dass er als Politiker scheitert, sagte Herr K. aber als Mensch sei er dann trotzdem nicht gescheitert.
Als Mensch ist er gescheitert, sagten die Leute, kann sein, dass er als Politiker trotzdem Erfolg haben wird.
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18
Herr K. und das Gedächtnis
„Er leidet unter Gedächtnisverlust“, sagten einige Leute.
“Aber nein“, entgegnete einer, der ihn gut kannte, “früher hatte er ein ausgezeichnetes Gedächtnis“.
“Wenn er nicht unter Gedächtnisverlust leidet“, fragten sich die Leute, „macht das die Sache besser oder schlechter?“
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19
Herr K. und das Netz
„Heute kann man das alles wissen“, sagte Herr K.
„Wir hätten nicht gedacht, dass die Kosten so schnell explodieren“, sagten die Leute. „Aber das hätte man wissen können“, sagte Herr K.
„Wir hatten nicht geglaubt, daß das Mineralwasser gefährdet wäre“, sagten die Leute. „Auch das hätte man wissen können“, sagte Herr K.
„Wir haben doch nicht geahnt, dass der neue Bahnhof schlechter wäre, als der alte“, sagten sie.
„Das hat man doch gewußt“, sagte Herr K. „oder man hätte es leicht erfahren können“. „Wir haben nicht damit gerechnet, daß diese Politiker uns betrügen“, sagten die Leute. Darauf hin schwieg Herr K..
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20
Ein kleiner Nachtrag zum Tag des Wassers 2013
Herr K. und der Tanz um das goldene Kalb
„Für mich ist die Entscheidung gefallen“, sagte Herr K. „es gibt kein Zurück mehr.“
„Wir dürfen das Mineralwasser nicht auf dem Altar der Profitinteressen opfern“, sagten die Leute.
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Herr K. und die Bildung
„Wir werden mit weniger Lehrern einen besseren Unterricht machen“, sagte Herr K. „Wäre es da nicht einfacher“, sagten die Leute, „mit weniger Politikern eine bessere Politik zu machen?“
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Herr K. und die Wahrheit, II
„Wie aber kann ich wissen“, sagte Herr K. „dass es kein Irrtum ist ?“
„Das ist eine schwierige Frage“, sagten die Leute. „Wenn sie dir zujubeln, kann es sein, dass du trotzdem auf dem Irrweg bist; und wenn sie dir widersprechen, könnte es sein, dass du auf dem Weg zur Wahrheit bist.“
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Herr K. und die Kunst der feinsinnig Rede
„Ich bin ein Freund langer Sätze“, sagte Herr K.
„Kommt es denn auf die Länge der Sätze an?“, sagten die Leute, „auch mit langen Sätzen, kann man einen kurzen Prozess machen“.
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Herr K. und der Irrtum
„Wie kann ich wissen“, sagte Herr K. „dass es die Wahrheit ist.“
„Das ist eine schwierige Frage“, sagten die Leute. „Wenn es den Bäumen und den Vögeln schadet, dann könnte es ein Irrtum sein.“
„Wenn es zu Verschwendung führt, dann ist es vielleicht zum Schaden aller.“
„Wenn es vom Geiste der Brüderlichkeit getragen ist, dann bringt es uns der Wahrheit näher, vielleicht.“
„Aber die Rechnung muß stimmen,“ sagten sie. „Wer die Zahlen nicht auf den Tisch legt, der muß wohl einen Grund haben, die Wahrheit zu fürchten.“
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25
Herr K. und die Lösung
Am Morgen lag wieder Schnee auf den Dächern.
„Es wird Zeit, dass der Frühling kommt“, sagten die Leute.
„Ich gebe mir große Mühe, meine Pläne zu erklären“, sagte Herr K..
„Seine Aussagen lassen an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig“, sagten die Leute.
„Er sollte aufhören, darum herum zu reden, und lieber seinen Standpunkt überdenken“.
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26
Herr K. und die Verwechslung
„Ich bin kein Regenmacher“, sagte Herr K. „es liegt nicht in meiner Macht, das Wetter zu verändern.“
„Müssen wir ihm erst noch erklären“, fragten sich die Leute „dass wir uns nicht um das Wetter, sondern um das Klima sorgen?“
„Wenn die Quellen versiegen, und wenn die Gletscher schmelzen“, fragten sie „was dann?“
„Wenn die Wüste sich ausbreitet, und wenn Städte verwahrlosen, ja, was dann?“
„Wenn die Sitten verkommen, so dass sich Lügner und Betrüger auf Kosten aller bereichern; ist es dann nicht an der Zeit zu handeln?“.
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Herr K. und der Weltgeist
Einmal im Jahr bestieg Herr K. einen Narrenwagen und fuhr mit seiner Narrenkappe und mit anderen Narren durch die Stadt. Dabei ging es meist sehr lustig zu; vor allem für diejenigen unter den Honoratioren, die dem Geist, der in der Brennerei einer nahegelegenen Universität gebrannt worden war, kräftig zugesprochen hatten.
Bei diesen Fahrten kehrte sich das Unterste nach oben und das Oberste nach unten. Bei einer dieser Fahrten soll unter großem Gelächter sogar die Idee geboren worden sein, den Bahnhof unter die Erde zu vergraben.
Als aber, statt von der Fahrt mit der Narrenkutsche, von einem Hubschrauberflug erzählt wurde, begannen manche Leute, die Schnapsidee von dem unterirdischen Bahnhof für bare Münze zu nehmen. Dies bekanntlich mit ungeahnten Folgen.
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Herr K. und die Stille, I
Mit großem Getöse hatten einst die Granden der Stadt verkündet, dass neue Arbeitsplätze entstehen sollten. Von 15.000, ja sogar von 24.000 neuen Arbeitsplätzen war die Rede. Es gab dazu Studien und teuer bezahlte Gutachten. Im Kern führten diese wissenschaftlichen Werke aus, dass ein Büroarbeitsplatz circa 15 Quadratmeter Platz benötigt. Deshalb würden 30 Quadratmeter zwei Arbeitsplätzen entsprechen. In der neuen Stadt würde man aber so viele neue Büros bauen, dass tausende von neuen Arbeitsplätzen entstehen würden. 150.000 Quadratmeter Bürofläche würden gebaut werden, so dass ohne jeden Zweifel 10.000 neue Arbeitsplätze hinzukommen würden. Ja, das könne schließlich jeder leicht nachrechnen.
Nur ganz böse Lästerzungen waren der Meinung, dass es sich bei dem Arbeitsplatzwunder um eine Milchmädchenrechnung gehandelt haben könnte.
Herr K. hatte sich nicht in auffälliger Weise an dieser interessanten Debatte beteiligt, es fiel ihm nur auf, dass es um die neuen Arbeitsplätze allmählich merkwürdig still geworden war.
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29
Herr K. und die Ehre, II
“Wenn sich jemand für eine gute Sache einsetzt“, sagte Herr K. „dann ist das ehrenhaft“.
“Und wenn sich später herausstellt, dass die Sache gar nicht so gut war“, sagten die Leute, „dann ist das tragisch. Aber“, sagten sie, „wir alle sind nicht vor Fehlern gefeit“.
“Was soll man aber davon halten, wenn sich jemand plötzlich für eine Sache stark macht, von der er doch schon wußte, dass es eine schlechte Sache ist?“
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KAMPF DEM ATOMTOD!
“Ja, wenn dort ein Atomkraftwerk vergraben würde“, sagte Herr K. „dann würde ich natürlich etwas dagegen tun. Aber bei einem Bahnhof geht es ja nicht um Leib und Leben“. “Wer in einem Tunnel erstickt“, fragten die Leute, „ist der etwa nicht tot?“
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31
Herr K. und das Wunder, I
„Nur ein Wunder,“ sagte Herr K., „kann jetzt noch alles verhindern.“
„Ein Wunder wäre es,“ sagten die Leute und lachten, „wenn niemand merken würde, dass der Kaiser nackt ist.“
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Herr K. legt sich fest
Es ist alles gesagt, verkündete Herr K., alles ist entschieden, es gibt kein Zurück!
Das könnte ihm so passen, sagten die Leute, wenn er das letzte Wort hätte.
Vor keiner Lüge haben sie sich gescheut. Jetzt meinen sie, alles wäre schon entschieden, als gäbe es kein Zurück.
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Herr K. und das weiche Wasser, das den Stein bricht
„Wir haben verloren“, sagte Herr K. „deshalb müssen wir jetzt eine knallharte Linie fahren, auch wenn wir das eigentlich nicht möchten. Wir müssen beweisen, dass wir gute Verlierer sind. Das bringt Härten mit sich.“
„Gut möglich, dass wir diesmal verlieren werden“, sagten die Leute. „Aber wenn wir uns jetzt nicht wehren, dann werden wir beim nächsten Mal erst recht den Kürzeren ziehen.“ „Wir haben mächtige Gegner, aber steter Tropfen höhlt den Stein“.
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34
Herr K. und die Grenzen
Es ist rechtswidrig, sagten die Leute, und es ist unvernünftig.
Ich muss Kompromisse eingehen, sagte Herr K., mir sind die Hände gebunden.
Das Recht können sie außer Kraft setzen, sagten die Leute, bei den Naturgesetzen wird ihnen das nicht gelingen.
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Herr K. und die Ingenieurskunst
“Nachdem es unwiderruflich und unumkehrbar feststeht, dass das große Werk ausgeführt werden muss“, sagte Herr K., „müssen wir kritisch darauf achten, dass unsere Ingenieure, die ja – bei aller Bescheidenheit – zweifellos die besten Ingenieure der Welt sind, das Wasser in richtiger Weise unter dem Bau durchleiten.“
“Wenn aber doch das Geld keine Rolle spielt,“ sagten die Leute „sollten wir dann nicht lieber darüber abstimmen, ob unsere Ingenieure – sicherlich die Besten der Welt – das Wasser nach oben lenken sollten.“
“Wenn Türme unter die Erde verlegt werden“, sagten sie, „wäre es dann nicht logisch, die Klärwerke vom Tal auf die Berge zu verlegen?“
„Dort oben könnte das Wasser gereinigt werden, ohne dass die Grundwasserströme beeinträchtigt würden, und das Mineralwasser bliebe zugleich zuverlässig vor Verunreinigungen geschützt“
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36
Herr K. und die Wahrheit, III
“Wenn wir uns nicht an die Mehrheitsentscheidung halten würden, das wäre ein Betrug am Wähler“, sagte Herr K. „deshalb müssen wir nun leider entgegen unserer Überzeugungen handeln.“
“Um Betrug,“ sagten die Leute, „um Betrug handelt es sich, wenn die Wahrheit verfälscht wird. Zum Glück haben Lügen kurze Beine.“
Worum aber geht es bei der Frage nach der Wahrheit?
Geht es dabei um die Frage nach den letzten Dingen?
Geht es dabei um die komplizierten Probleme der hohen Philosophie?
Nein. Meist geht es nur um so unscheinbare Dinge, wie beispielsweise die Anzahl der Finger an einer Hand, die Abfahrtszeit eines Zuges, oder um den Preis für ein Glas Wein. Denn die Wahrheit ist oft sehr klar und sehr einfach.
Natürlich entscheiden in einer Demokratie Mehrheiten; aber die Mehrheiten entscheiden natürlich nicht über Wahrheiten. Vielmehr geht es darum, Mehrheiten auf der Basis der Wahrheit zu finden.
Wie einfach ist es doch, mit einer Lüge Wahlergebnisse zu beeinflussen. An einige dieser Lügen erinnern wir uns noch all zu gut. Auch an manche der Lügner erinnern sich die Leute – mit Hohngelächter.
http://www.kontextwochenzeitung.de/denkbuehne/111/die-wahrheit-ist-obdachlos-439.html
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37
Herr K. und die Sackgasse
“Manchmal wäre das Nächstliegende das Beste“, sagten die Leute; “es wäre klug, das Projekt zu stoppen, bevor die ersten Todesopfer zu beklagen sein werden“.
Darauf erwiderte Herr K.: „Es gibt kein Zurück!“
“Vielleicht liegt das daran“, sagten die Leute und lachten, „dass der Rückwärtsgang noch gar nicht erfunden wurde.“ – „Anstatt Gas zu geben,“ sagten sie, „sollte er vielleicht einfach versuchen, den Karren zu wenden.“ – „Wäre es nicht wesentlich glaubwürdiger, wenn manche Leute wenigstens gelegentlich versuchen würden, sich an ihre früheren Versprechungen zu erinnern?“
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38
Herr K. und die Kunst, I
“Wir sind keine Fundis,“ sagte Herr K. „denn das Regieren ist keine plumpe Angelegenheit, sondern eine komplizierte Kunst.“
“Eine große Kunst fürwahr“, sagten die Leute, „wir aber sollten uns vor allem in der Kunst üben, nicht regiert zu werden.“
`Die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden `, war der Titel einer Ausstellung im Stuttgarter Kunstverein. In dem sehr hörenswerten Interview, das kürzlich gesendet wurde, äußert sich Ekkehart Krippendorff ebenfalls zu dieser interessanten Kunst:
http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/zeitgenossen/-/id=660664/nid=660664/did=11054090/mismwl/
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Herr K. und die Moldau
Als es aber vor aller Welt offenbar geworden war, dass es sich bei dem Projekt nicht nur um ein recht großes, sondern vor allem um ein unglaublich dummes Projekt handelte; machte sich unter vielen Leuten eine gewisse Ratlosigkeit bemerkbar.
Manche spekulierten darüber, was einige einflussreiche Leute wohl dazu bewogen haben könnte, so hartnäckig und so zäh an diesem mehr als merkwürdige Projekt festzuhalten. Sie sprachen darüber, dass es vielleicht Manche nicht besser wissen würden, weil sie inkompetent oder korrupt seien. Bei Manchen sei vielleicht auch der Kopf ein bisschen vernebelt, sei es durch Alkohol, sei es durch falsch verstandene Religiosität.
“Wir sind nicht berauscht von der Macht,“ sagte Herr K. „aber wir müssen die Regeln und die Vorschriften beachten. Denn es ist wie beim Autofahren, wir setzen uns doch auch nicht betrunken an das Steuer.“
“Da hat er aber recht“, sagten die Leute, „Regeln und Vorschriften sind äußerst wichtig.“ – „Gut dass er das angesprochen hat, vielleicht haben auch wir beispielsweise die Verkehrsschilder und die Wegweiser bisher zu wenig beachtet.“ –
„Wir sollten uns ein Beispiel an den Leuten des Prager Frühlings nehmen: als die ausländischen Panzer in die Stadt rollten, haben einige beherzte Bürger die Wegweiser abmontiert und vertauscht.“
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Herr K. und die Affen
Einst besuchte Herr K. ein fernes Land, in dem eine Herde von Affen lebte. Diese Tiere beschwerten sich, weil ihnen ein neuer Stall versprochen worden war, der jedoch nach jahrelanger Bauzeit noch längst nicht fertig wurde. Herr K. war gerne dazu bereit, sich die heftigen Klagen anzuhören.
„Ich verstehe, dass es nicht gut und richtig war, Euch falsche Versprechungen zu machen“, entgegnete er, „diese basierten auf ungenauen Rechnungen und leider auch auf all zu optimistischen Annahmen. Auf Grund dieser Fehler musste leider der Bau des Stallgebäudes mehrmals verschoben werden. So kann es nicht weitergehen! Wir werden dies natürlich umgehend korrigieren! In Zukunft werden wir dafür Sorge tragen, dass keine angekündigten Termine mehr verschoben werden müssen! Auf Grund neuer und genauerer Berechnungen können wir versprechen und garantieren, dass der Affenstall nicht spätestens, sondern frühestens im nächsten Jahr fertig gestellt werden wird.“ Darüber waren die Affen hoch erfreut.
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Herr K. und das Weltniveau
„Wir haben gute Tunnelbauer“, sagte Herr K.
„Sollen wir ihnen deshalb alles glauben?“ fragten die Leute.
„Wir haben sogar die besten Tunnelbauer der Welt!“ sagte Herr K.
„Sollen wir ihnen deshalb alles erlauben?“ fragten die Leute.
„Unsere hervorragenden Tunnelbauer“, fügte Herr K. hinzu, „werden überall auf der Welt bewundert.“
“Nur schade,“ sagten die Leute, „dass es an guten Ratgebern zu fehlen scheint.“
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Herr K. und das schönste Geschenk
Als viele Bürger einer Stadt ein Bauprojekt ablehnten, versuchten einige Herren ihnen dieses Projekt als Geschenk schmackhaft zu machen. Es stellte sich indessen rasch heraus, dass dieses Geschenk nicht ganz umsonst zu haben sein würde.
„Bei einem Schnäppchenpreis wird es nicht bleiben können“, sagte Herr K. „aber wir werden dafür Sorge tragen, das die Kosten nicht in den Himmel wachsen.“
„Es gibt Geschenke“, sagten die Leute, „die könnten wir uns selbst dann nicht leisten, wenn unsere Straßen mit Gold gepflastert wären.“
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Herr K. und der wohltuende Schatten der Bäume
„Kann man denn einem nackten Mann in die Tasche greifen?“, fragte Herr K..
„Aber ja doch,“ sagten die Leute, „es gibt viel, das man ihm noch wegnehmen könnte: Scheint die Sonne für ihn nicht umsonst?
Trinkt er nicht das Wasser aus dem Brunnen, ohne dafür zu bezahlen?
Es ist ein Skandal, dass er die Luft zum Nulltarif atmet!
Wenn er nicht dafür bezahlen möchte, dann sollten wir seine Kinder und seine Kindeskinder zur Kasse bitten!“
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44
Herr K. und die Alphabetisierung
“Wir müssen den Analphabetismus überwinden,“ sagte Herr K.
„Aber die Kunst zu lesen,“ sagte jemand, „besteht darin, nur das zur Kenntnis zu nehmen, was unserer Sache nützt.“
„Führt dies nicht zur Erblindung?“, fragten die Leute.
„Dies ist von Nutzen“, entgegneten einige, „eine partielle Erblindung ebnet in diesem Land den Weg nach ganz oben.“
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Herr K. und die Sonne, die es an den Tag bringt
“Unsere Ingenieure haben sich nicht verrechnet,“ sagten die Bosse, „ganz im Gegenteil, sie haben immer genauere Werte ermittelt.“
“Merkwürdig,“ dachten die Leute, „andere hatten die Kostenexplosion vorausgesagt, sie hatten weniger genau – aber anscheinend richtiger – gerechnet.“
„Niemand hat gelogen,“ sagten einige Gutgläubige, „allenfalls haben vielleicht manche den Mund ein bißchen zu voll genommen.“
„Ist es denn gleich nötig,“ sagten die Leute, „´Nie wieder blau` zu rufen, nur weil einige graue Wolken aufgezogen sind?“
„Niemand hat seine Versprechen gebrochen,“ sagte Herr K. „es wurde allenfalls bei einem Test ein bißchen gemogelt.“
„Vielleicht“, sagten die Leute „vielleicht wird schon der nächste Regen diese Betrüger davonschwemmen!“
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Herr K. und der Streit
„Der Streit ist beendet!“ sagte Herr K.
“Welch ein schöner Erfolg,“ sagten die Leute, „jetzt müssen nur noch die strittigen Fragen geklärt werden.“
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47
Herr K. und der eine Grund
„Es gibt vielfältige Gründe, die für oder gegen eine Sache sprechen.“ sagte Herr K.
„Aber wenn das Recht verbogen wurde, um eine Angelegenheit durchzudrücken, dann müssen wir diese neu überdenken,“ sagten die Leute. „Müssten wir eine solche Sache nicht selbst dann ablehnen, wenn es keinen anderen Grund dafür gäbe?“
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Herr K. und die Erfahrung
Auf einer Fahrt durch ein langes Eisenbahntunell dachte Herr K. über die bewunderungswürdigen Leistungen unserer Ingenieure nach. Der Gedanke an die Möglichkeiten, die sich durch die neuen Technologien in Bälde ergeben würden, beflügelte ihn.
„Hunger, Armut und Krankheit, die alten Menschheitsgeißeln werden wir mit Hilfe der modernen Naturwissenschaften überwinden“, dachte er, „und auch den Klimawandel bekommen wir mit der grünen Energiewende rasch in den Griff.“
Erste Zweifel kamen ihm indessen, als er aussteigen wollte und an der Türe einen roten Zettel bemerkte, mit der Aufschrift: „Türstörung, kein Ausstieg möglich.“
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49
Herr K. und der Garten
Herr K. hatte seinen Nachbarn stolz erzählt, dass er auf der alten Streuobstwiese hinter seinem Haus einen modernen Hochleistungs-Obstgarten anlegen wollte. Dazu ließ er zunächst die alten Obstbäume fällen und die Wiese einzäunen. Dann ließ er Parkplätze zementieren und eine großzügige Zufahrt asphaltieren. In die Mitte des Gartens kam eine große Aussichtsterrasse. Sodann ließ Herr K. die Wiese mit einem Netz von bequemen und breiten Wegen überziehen. Als dies alles fertig war, hatte er schon ziemlich viel Geld ausgegeben, aber es war nur noch wenig Platz für Bäume übrig geblieben.
„Wann werden wir wohl die ersten Super-Äpfel und die ersten Turbo-Birnen sehen?“ fragten sich die Leute und lachten.
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50
Herr K. und die Technik
„Wir haben hervorragende Ingenieure,“ bemerkte Herr K. „und unsere Technik macht ständig große Fortschritte.“
„Kein Wunder,“ antworteten die Leute, „dass auch die Zerstörung der Natur zügig vorankommt.“
„Unsere bisherige Technik steht in der Natur wie eine Besatzungsarmee in Feindesland,…“ (Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, 1959, S. 814) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
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Herr K. und die Genauigkeit
„Natürlich können wir bei einem so großen Projekt,“ sagte Herr K. „die Kosten nicht genau kennen.“
„Aber wir wissen genau,“ antworteten die Leute, „dass bei der Berechnung der Kosten betrogen wurde.“
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Herr K. und das Wachstum
Einst hatte Herr K. einen kleinen Hund, der war sehr dürr und sehr schmächtig. Ein Freund, der zu Besuch gekommen war, sagte, dieser Hund müsse aber tüchtig gefüttert werden. Einige Zeit später begegneten sich die beiden Herren wieder. Inzwischen war Hund des Herrn K. so groß und so fett geworden, dass er kaum noch laufen konnte.
„Oh,“ sagte der Freund, „du hast meinen Rat aber gar zu gut befolgt. Wäre es jetzt nicht an der Zeit, das Futter zu reduzieren?“
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Herr K. und die Feinschmecker
Herr K. bevorzugte seit langem Teigwaren, die in dem Landesteil, in dem er lebte, gerne gegessen wurden. Als ihm zu Ohren kam, dass sich die Leute erzählten, er selbst würde sehr gerne Linsen essen, konnte er sich dies deshalb nicht so richtig erklären.
Die Leute indessen konnten es sich anders nicht erklären, warum er sich seinen Schneid für ein Linsengericht hatte abkaufen lassen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
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Herr K. denkt nach
„Wir denken über einen Untersuchungsausschuss nach“ sagte Herr K..
“Das ist zu wenig“ sagten die Leute, „dieses Land braucht mindestens zwei.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
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Herr K. und der Regenschirm
Einer der Nachbarn bemerkte, dass Herr K., als er aus dem Haus ging, einen neuen Regenschirm in der Hand hielt. Das verwunderte ihn sehr, denn er hatte noch nie gesehen, dass Herr K. einen Regenschirm benutzt hätte.
“Wie kommt es, dass Sie an einem so schönen Frühlingstag mit einem Regenschirm ausgehen,“ fragte der Nachbar.
“Es ist mir unangenehm, das anzusprechen,“ antwortete Herr K. „aber neuerdings liest man so oft, dass es völlig unerwartet selbst durch Bahnhofsdächer hindurch regnet.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
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Herr K. und der Plan
„Es kommt darauf an,“ sagte Herr K. „die öffentlichen Verkehrsmittel auszubauen, eine Energiewende herbeizuführen, die Natur zu schützen und die Wirtschaft auf Nachhaltigkeit auszurichten.“
“Was hält ihn davon ab, sich gegen die fortlaufenden Zerstörungen auszusprechen und mit der Umsetzung seiner Pläne zu beginnen?“ fragten sich die Leute, „muss man dazu Bäume fällen, Bahnhöfe vergraben, Flüsse umleiten und den Leuten Luftnummern vorgaukeln?“
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Herr K. und die vier Elemente
„Wir leben nicht mehr im Mittelalter,“ sagte Herr K. „damals versuchten Quacksalber aus wertlosem Metall Gold herzustellen.“
„Wie sich die Bilder gleichen,“ sagten die Leute. “Salbaderer der Neuzeit versuchen Geld zu scheffeln, indem sie die Luft verpesten, das Wasser verdrecken, die Erde verwüsten und das Klima aufheizen. Wie harmlos waren doch die Alchemisten des Mittelalters im Vergleich zu ihren modernen Nachfolgern.“
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Herr K. und die Augenheilkunde
Als Herr K., der über ein umfangreiches und tiefgehendes biologisches Wissen verfügte, lebendig und kenntnisreich über die neuesten Erfolge auf dem Gebiet der Augenheilkunde berichtete, zeigten sich seine Gesprächpartner zutiefst beeindruckt.
Nur ein älterer Herr, der den Ausführungen sehr interessiert zugehört hatte, äußerte etwas erstaunt, dass er jetzt überhaupt nicht mehr verstehen könne, wieso in diesem Land so viele Richter und Staatsanwälte auf einem Auge blind seien.
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Herr K. und die Einzeltäter
Zu den neuen Aufgaben des Herrn K. zählte auch die Bearbeitung kriminalistischer Probleme. So war er einmal gefragt worden, ob er auch der Meinung sei, dass an einem bekannten Kriminalfall nur ein einzelner Straftäter beteiligt gewesen sein könne.
„Daran darf es gar keine Zweifel geben,“ antwortete Herr K. „denn es ist klüger, an der Einzeltäter-These festzuhalten, weil wir mächtige Freunde haben.“
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Herr K. und die Vielfalt der Arten
Die Vielfalt der heimischen Tier- und Pflanzenwelt sei ganz erstaunlich, berichtete Herr K.. So seien in den letzten Tagen sogar unweit des Stadtzentrums sehr seltene Vögel gesichtet worden: nicht nur Papageien, Fischreiher, und Rotschwänzchen, sondern auch Grasmücken und sogar ein einzelner Kuckuck.
„Diese sind leicht zu erkennen,“ sagten die Leute, „aber es gibt leider noch eine Reihe weiterer recht merkwürdiger Vögel. Man denke nur an die Zauderer, die Wendehälse, die Nachplapperer und die Überläufer.“
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Herr K. und die Prüfung
Einst war Herr K. damit beauftragt worden, die Planungen für eine neues Versammlungszentrum zu begutachten. Allerdings gab es unter den Bürgern der Stadt recht unterschiedliche Auffassungen darüber, wo dieses neue Gebäude errichtet werden sollte, und ob es wohl überhaupt gebraucht werden würde.
Als Herr K. gefragt wurde, ob denn die Kosten für den Bau richtig berechnet worden seien, gab er zu verstehen, dass dies erst noch geprüft werden müsse.
Als er wenig später gefragt wurde, wie viele Personen das neue Gebäude fassen würde, wies er darauf hin, dass dies noch zu prüfen sei. Und als kurz darauf Zweifel an der Standfestigkeit des geplanten Neubaus aufkamen, sagte er, dass eine Gruppe von Experten bereits dabei sei, auch dies zu überprüfen.
“Könnte es sein,“ fragten sich die Leute, „dass vor allem überprüft werden soll, wie lange wir uns noch hinhalten lassen?“
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Herr K. und die Klassenarbeit
Auf die Erfahrungen aus seinem früheren Beruf, als er noch eine Schulklasse unterrichtet hatte, war Herr K. zurecht stolz.
„Wenn ein Schüler bei einer Klassenarbeit abschreibt und dabei vom Lehrer erwischt wird, dann ist natürlich nicht nur das ungültig, was er abgeschrieben hat,“ sagte Herr K. „sondern dann wird seine gesamte Arbeit in Frage gestellt. Es wäre schon etwas mutig, wenn ein Schüler dann argumentieren würde, es sei ja nicht so wichtig, dass er abgeschrieben hätte.“
„Das ist aber interessant,“ sagten die Leute, „wer hat denn gesagt, es sei irrelevant, dass bei dem Stresstest ein kleines bisschen gemogelt worden war.“
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Herr K. und das Land des Vergessens
Herr K. liebte das Reisen, und auf seinen ausgedehnten Expeditionen lernte er so manche merkwürdige Sitten und Gebräuche kennen. Gerne erzählte er von den Erfahrungen, die er in weit entlegenen Gebieten gemacht hatte und von den erstaunlichen Dingen, die er dort gesehen und gehört hatte.
Sehr beeindruckt war er vor allem von dem Land des Vergessens, das er vor kurzem bereist hatte. Dort, in jenem fernen Land, sind die Leute um so angesehener, je besser sie die Kunst des Vergessens beherrschen. Wenn sich die Leute begrüßen, mit der Frage: „Welchen Tag haben wir heute?“ So gebietet der Anstand die Antwort: „Das habe ich glatt vergessen.“ Worauf die Gesprächspartner erwidern können: „Oh, wie schön!“
In der Schule beginnt der Unterricht mit der Frage des Lehrers: „Was wollen wir heute denn vergessen?“ und wenn die Schüler dann sagen: „Oh, das wissen wir nicht mehr!“ Dann geht ein strahlendes Lächeln über sein Gesicht, und der Unterricht kann beginnen. Kommen die Kinder nach hause, dann fragen die Eltern: „Was habt ihr denn heute in der Schule gelernt?“ Und wenn eines der Kinder sagt: „Wir haben vergessen, dass acht und acht sechzehn ergibt.“ Dann sagen die Eltern: „Ist es nicht schön zu sehen, dass unsere Kinder große Fortschritte machen?“ So richtig zufrieden sind sie aber erst, wenn die Kinder selbstbewusst sagen können: „Was wir heute in der Schule gelernt haben, das haben wir schon ganz und gar vergessen.“
In der Hauptstadt des Landes wurde Herrn K. ehrfurchtsvoll eine prominente Person vorgestellt. Man flüsterte ihm zu, es handle sich um einen sehr reichen Herrn. Noch wenig mit den Sitten des Landes vertraut, fragte Herr K. etwas ungeschickt nach, was dieser Herr denn besitzen würde. „Aber nein,“ raunten die Leute, „er hat natürlich keinen Besitz, ganz im Gegenteil, er ist hoch verschuldet; aber er ist ein großer Meister, denn er hat das vergessen.“
Nach seiner Rückkehr dachte Herr K. unentwegt darüber nach, wie wir die merkwürdige Begabung des Vergessens für unser eigenes Land neu entdecken und besser nutzen könnten.
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Herr K. und die Übereinstimmung
“Wir sind aktiv geworden und in die Politik gegangen,“ sagte Herr K. „weil wir erreichen wollten, dass die Politik wieder mit unseren Werten, unseren Einstellungen und unseren Überzeugungen übereinstimmt.“
“Wir wussten, dass es schwierig sein würde, die Politik zu ändern,“ sagten die Leute, „aber wir hätten nicht gedacht, dass es für sie so einfach sein könnte, ihre Überzeugungen an diese Politik anzupassen.“
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Herr K. im Land der Nachhaltigkeit
Einst bereiste Herr K. ein fernes fremdes Land, in dem die Leute sehr einfach und zufrieden lebten. Aber mit großem Stolz zeigten sie ihre neueste Errungenschaft vor: Auf einem abgezäunten Gelände war in kurzer Zeit ein riesiges Schloss entstanden, das schon fast fertig erbaut worden war.
„Wer wird denn in diesem schönen Schloss wohnen?“ fragte Herr K. “Aber warum wohnen?“ fragen die Leute peinlich berührt, „in dieses Gebäude wird natürlich niemand einziehen. Schon in den nächsten Tagen wird es aus Gründen der Nachhaltigkeit abgerissen werden, damit Platz für Neubauten entsteht.“
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Herr K. im Land der Wahrheit
Als Herr K. von seiner Reise ins Land der Wahrheit zurückgekehrt war, zeigte er sich besonders beeindruckt, von einer Fähigkeit, die dort in der Fachabteilung für Renumification, einer kleineren Abteilung des Wahrheitsministeriums, sehr erfolgreich angewandt wurde. Sofort beauftragte er einen seiner fähigsten Minister, ebenfalls eine Abteilung für Renumifikeration einzurichten. Im Behördenjargon wurde diese neue Fachabteilung als VIII-17 bezeichnet, weil der Kern ihrer Aufgaben darin bestand, der Öffentlichkeit klarzumachen, dass es auf Grund neuer revolutionärer Erkenntnisse der Eisenbahnwissenschaften unentscheidbar geworden sei, ob acht mehr als siebzehn oder siebzehn mehr als acht sei.
Im Übrigen, so ließ Herr K. verkünden, sei diese kleine Unschärfe auf Grund von politischen Entscheidungen, die nun einmal gefällt worden seien, ohnehin irrelevant geworden.
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Herr K. und die Zensur
„Wir denken nicht einmal daran,“ sagte Herr K. „die Pressefreiheit einzuschränken.“
„Wenn nicht einmal sie daran denken,“ sagten die Leute, „dann muss das daran liegen, dass die Presse all zu zahnlos geworden ist.“
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Herr K. und die Glaubwürdigkeit
„Weil ich glaubwürdig bleiben möchte, werde ich nicht zu viel versprechen,“ sagte Herr K.
„Das ist klug,“ sagten die Leute, „aber hängt denn die Glaubwürdigkeit alleine davon ab, ob jemand viel oder wenig versprochen hat?“
„Dass wir die falschen Entscheidungen der Vergangenheit rückgängig machen könnten,“ wiederholte Herr K. „das haben wir nie behauptet.“ „Das stimmt,“ sagten die Leute, „aber hatte er nicht versprochen, dass sie es wenigstens versuchen möchten?“
„Außerdem,“ sagte Herr K. „wissen wir überhaupt nicht, ob es sich tatsächlich um Fehler gehandelt hat, denn das lässt sich auf Grund theoretischer Überlegungen überhaupt nicht herausfinden.“
„Den Tag, an dem er das gesagt hat, sollten wir uns gut merken,“ sagten die Leute. „Denn dieser Tag markiert den Zeitpunkt, an dem er offen zum Verräter geworden ist.“
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Herr K. bereist Manufakturien
Als Herr K. das schöne Manufakturien bereiste, hatte er auch die Gelegenheit dazu, die dortige Universität zu besuchen. Stolz stellte man ihm an einem Nachmittag die drei wichtigsten Fakultäten vor, die der Vasenzertrümmerer, der Baumausreißer, und der Bücherverbrenner.
Dass man Porzellanvasen-Zertrümmerer benötige, das könne ja jedermann leicht einsehen, erläuterte man ihm. Denn würde man darauf verzichten, die neu hergestellten Vasen sofort wieder zu zertrümmern, dann würden ja unweigerlich die Preise ins Unendliche abstürzen, und das gesamte Wirtschaftssystem würde zusammenbrechen. Es käme eben darauf an, bei dem Zertrümmern der Vasen klug, innovativ und effektiv vorzugehen und den erforderlichen Energieaufwand zu minimieren.
Die schwierige Aufgabe des Baumausreißens sei nicht so einfach zu verstehen, aber er würde sicherlich einsehen, dass die Sägenhersteller viel schlechtere Geschäfte machen würden, wenn man es zulassen würde, dass überall in der Stadt ein Urwald wuchern würde; das Absägen von Bäumen sei nun aber einmal ein Geschäft, das aus historischen Gründen von den Baumausreißern gleich mit erledigt werden würde.
Die höchste Wissenschaft sei jedoch die Bücherverbrennung, denn diese fasse in gewisser Weise die Künste aller anderen Disziplinen zusammen. Was würde denn bitte, von einer höheren Warte aus betrachtet, das Zertrümmern einer Blumenvase, das Häckseln eines Baumes oder das Abreißen eines historischen Gebäudes von dem Verbrennen eines Buches unterscheiden? Genau genommen sei also das Verbrennen von Büchern der Schlüssel zu jeder höheren Kultur.
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Herr K. besucht Halbanien
Als Herr K., der große Filosof, das Land Halbanien besuchte, erkundigte er sich der Höflichkeit halber, warum das Land einen so merkwürdigen Namen trage. Das sei eine sehr alte Geschichte, erzählten ihm die Halbanier voller Stolz. Genau genommen hätte der Name vor allem damit zu tun, dass man in der halbanischen Tradition seit alters her bei allen Dingen in großartiger Weise nach Möglichkeit eine Hälfte weglassen würde. Deshalb stünde der Halbmond im Wappen des Landes, und aus dem selben Grunde würde auch die Sonne stets als Halbkreis dargestellt.
Neuere Forschungen hätten ergeben, dass dieses Prinzip tief in der Natur verankert sei. So gleiche der Mensch genau genommen doch einem halben Pferd, da er nur zwei Beine habe. Und das Pferd sei doch eigentlich so etwas ähnliches wie eine halbe Spinne, denn die Spinne habe bekanntlich acht Beine. Es könne also von großem Vorteil sein, eine Hälfte wegzulassen. So könne man auf einem Pferd viel besser reiten, als auf einer Spinne und der zweibeinige Mensch sei dem vierbeinigen Esel doch weit überlegen. Auf einem Bein könne man viel eleganter hüpfen, das wisse doch jedes Kind, und man könne dies leicht auf jedem Spielplatz beobachten.
Würde man ein Buch nur zur Hälfte lesen, dann habe man schließlich sehr viel Zeit gewonnen; und würde man die Schulzeit auf die Hälfte verkürzen, dann würden die Kinder folglich sehr viel schneller lernen. Mit halb so vielen Lehrern bekomme man einen doppelt so guten Unterricht, in einem halbierten Bahnhof würden mindestens doppelt so viele Züge fahren, und auch das Halbieren der Demokratie sei von großem Vorteil, denn damit könne man die schwere Last des Regierens ungemein erleichtern.
„Denn,“ sagten sie stolz lächelnd, „wie der Halbanier sagt: die halbe Wahrheit ist die halbe Miete!“
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Herr K. reist nach Bureaukratien
Die Reise des Herrn K. nach Bürokratien begann mit einer kleinen Unstimmigkeit, die ihn sehr irritierte; denn gleich am Empfangsschalter musste er seinen Reisepass abgeben, und er musste sehr lange darauf warten, diesen zurück zu bekommen. Als ihm das Dokument nach geraumer Zeit endlich wieder ausgehändigt wurde, erkannte er es fast nicht wieder, weil es über und über mit farbigen Klebezetteln überklebt worden war. Da ihm seine Verwunderung leicht anzumerken war, wurde ihm aber sogleich höflich versichert, dass dies alles seine Richtigkeit habe und der hocheffizienten Verwaltungsvereinfachung diene.
Danach begann ein etwas langatmiges Verhör, in welchem er vor allem gefragt wurde, ob es sich bei dem „K“ seines Namens um ein altdeutsches, ein mitteldeutsches oder ein schwäbisches „K“ handeln würde. Wie wolle er denn nachweisen, dass es kein kyrillische „K“ sei? Und ob es sich am Ende bei dem „K“ gar um ein griechisches Kappa handeln könne? Erst als Herr K. etwas entnervt die Behauptung wagte, dass es sich bei dem „K“ natürlich um ein Käsekuchen-K handeln würde, versicherte eine junge Beamtin mit einem strahlendem Lächeln, in diesem Fall sei natürlich alles in Ordnung und winkte ihn freundlich zu dem nächsten Kontrollpunkt weiter.
Leider ist es uns noch nicht bekannt geworden, ob Herr K. inzwischen bereits definitiv nach Bureaukratien einreisen durfte, oder ob der vereinfachte Einreiseberechtigungskontrollnachweisüberprüfungsprozess noch für kurze Zeit andauert.
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Herr K. und der Jet Set
Um einen eiligen Besucher auf der Durchreise kurz zu begrüßen, eilte Herr K. rasch zum Flughafen. „Schade, dass Sie nicht mehr Zeit mitgebracht haben“ sagte er.
Ja, dies bedaure er auch sehr, entgegnete der Besucher, weil er seinen letzten kurzen Aufenthalt in dieser Stadt noch in bester Erinnerung habe. Er habe gehört, dass die skurrilen farbigen Zelte, die er unter riesigen alten Bäumen in einem Park nahe des Stadtzentrums gesehen habe, auf einer Kunstausstellung gezeigt worden seien.
„Ja, das ist richtig“ antwortete Herr K.
“Gibt es denn diesen Zaun, nahe des Bahnhofs noch, der über und über mit Botschaften bedeckt war“, fragte der Besucher.
„Ja,“ antwortete Herr K. „dieser ist in ein Museum gebracht worden.“ Dann könne er ihn zu dem Leben in dieser kunstsinnigen Stadt nur beglückwünschen, sagte der Besucher, ehe er das wartende Flugzeug wieder besteigen musste.
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73
Herr K. und die Sprachen
„Wir müssen lernen, besser zu kommunizieren,“ sagte Herr K..
„Das ist richtig,“ sagten die Leute, „ist es nicht ganz erstaunlich, dass wir uns überhaupt verständigen können?“ –
„Wenn Worte ein Herz berühren,“ sagten sie, „dann geschieht ein Wunder.“
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74
Herr K. und die Stille, II
„Es ist alles gesagt,“ sagte Herr K.
„Vielleicht sollten wir es einmal mit Schweigen versuchen“, sagten die Leute.
„Mit dem Häckseln von Bäumen kann man selbst Vögel zum Verstummen bringen. Wenn nur noch Bau- und Verkehrslärm zu hören ist,“ sagten sie, „dann gehen vielleicht manchem die Augen auf.“
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75
Herr K. und die Rollenverteilung
„Ein Politiker hat vielerlei Verpflichtungen,“ sagte Herr K.
„Vielleicht hängt es damit zusammen“, sagten die Leute. „dass manche Politiker, wenn sie erst an die Regierung gekommen sind, sich an bestimmte Dinge plötzlich nicht mehr erinnern können.“
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76
Herr K. und die Niederlage
„Man muss wissen,“ sagte Herr K. „wann man verloren hat. Wir haben verloren, deshalb kämpfen wir nicht weiter.“
„Es gibt Schlimmeres, als eine verlorene Partie,“ sagten die Leute. „Wir werden uns weiter engagieren, schon um die Erinnerung aufrecht zu erhalten. Unser Protest lohnt sich, weil niemand sagen können wird, er habe von all dem nichts gewußt.“
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77
Herr K. und die Großprojekte
„Wenn wir dieses Projekt nicht durchsetzen,“ sagte Herr K. „dann können in Deutschland bald überhaupt keine Großprojekte mehr umgesetzt werden.“
„Das hört man immer wieder,“ sagten die Leute, „aber wenn es tatsächlich um die Größe gehen würde, könnte dann nicht ein großes Projekt durch ein anderes ersetzt werden, beispielsweise ein nutzloses, durch ein nützliches?“ –
„Ein sehr großes Projekt, das sich für alle lohnen würde,“ sagten einige Leute, „wäre es, wenn wir uns gemeinsam darum bemühen würden, dass in diesem Land wieder etwas mehr Bescheidenheit einkehrt.“
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Herr K. und die Entdeckung der Schuldigen
„In einer modernen Demokratie, melden die Wähler immer neue Wünsche an,“ sagte Herr K. „Ein großer Finanzpolitiker hat darauf hingewiesen,“ berichtete er, „dass deshalb bei größeren Projekten Kostensteigerungen ganz unvermeidbar sind. In ihrer maßlosen Gier sind die Wähler nicht mehr damit zufrieden, Konzerthallen zu besuchen und Flughäfen zu besichtigen; denn anders als früher wollen sie heute auch Konzerte hören und gar selbst mit den Flugzeugen mitfliegen. Ja, man kann es sich schon fast denken, in Bahnhöfen wollen die Leute künftig auch Zugfahren; und da dies ja nun wirklich nicht von Anfang an vorherzusehen gewesen war, sind an all den Fehlentwicklungen, für die häufig völlig ungerechtfertigter Weise die Politiker verantwortlich gemacht werden, in Wirklichkeit ganz allein die Wähler schuld.“
„Sollten wir nicht schleunigst dafür sorgen,“ fragten die Leute, „dass sich diese hohen Repräsentanten bald neue Wähler aussuchen können?“
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79
Herr K. und der Turm
Ein von weither angereister Besucher fragte, warum ein berühmter Turm nicht mehr öffentlich zugänglich sei.
Dies sei wirklich sehr schade, erklärte Herr K., aber es habe damit zu tun, dass in der Stadt inzwischen sehr hohe Sicherheits-Standards gelten würden.
„Ja, das stimmt,“ sagten die Leute, „es gelten sehr, sehr hohe Standards; besonders oberirdisch. Unterirdisch gelten aber unterirdische Sicherheits-Standards.“
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80
Herr K. im Gespräch
In einer recht hitzig geführten Diskussion um ein großes Projekt fragte Herr K.: „Sie möchten mich aber doch nicht etwa ernsthaft als Lügner bezeichnen?“ –
„Aber nein,“ entgegnete sein Gesprächspartner, „dies will ich nun wirklich nicht tun.“
Und als sich Herr K. darauf hin zufrieden zurücklehnte, fügte der Gesprächspartner erläuternd hinzu:
„Schon deshalb möchte ich das nicht tun, weil die heftigsten und die schärfsten Worte der Kritik unter den gegebenen Umständen noch viel zu milde und zu schmeichelhaft wären.“
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Herr K. im Gebirge
Auf einer Reise durch das Kehrzgebirge kam Herr K. mit einem Kerzenmacher ins Gespräch. Die beiden unterhielten sich lange über das Ziehen, das Gießen und das Kneten von Kerzen. Auch auf die Geschichte und die Philosophie der Kerzen kamen sie zu sprechen. Scheint das warme und weiche Licht der Kerzen nicht jedermann in seine Kindheit? Was wäre Weihnachten, was wäre das Abendland ohne Kerzen? Und wenn die Bewohner des fernen Morgenlandes sagen: „Es ist besser ein Licht zu entzünden, als über die Dunkelheit zu klagen“, haben nicht auch sie die Bedeutung der Leuchtmittel in hohem Maße erkannt?
Herr K. vermutete, dass auf Grund neuerer technologischer Entwicklungen der Absatz von Kerzen rückläufig sein müsse. Dies könne er durchaus bestätigen, sagte der Kerzenmacher, aber dieser Verlust werde durch die gewachsene Nachfrage nach Nebelkerzen so gut wie aufgehoben. Es sei nämlich besonders anspruchsvoll und aufwendig, Nebelkerzen zu fabrizieren; und dies habe seinen Preis, sagte er; obgleich er natürlich anerkennen müsse, dass die eigentliche Kunst darin bestehe, die Nebelkerzen im richtigen Moment geschickt zu werfen.
Es komme darauf an, sagte er, die Köpfe der Zuhörer allmählich so zu vernebeln, dass sich bei ihnen das Gefühl einer Erleuchtung einstelle. In der Regel wäre es am besten, wenn niemand bemerke, dass überhaupt Nebelkerzen geworfen worden seien; und nur wenige ganz große Meister könnten es sich leisten, Nebel für jedermann erkennbar in aller Offenheit zu verbreiten.
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Herr K. und die Schwierigkeit
„Wir arbeiten Tag und Nacht sehr hart daran, schwierige Probleme zu lösen,“ sagte Herr K. „niemand sollte beispielsweise denken, es wäre einfach, die Eisenbahn zu demontieren.“
„Das verstehen wir jetzt aber nicht richtig,“ sagten die Leute, „wir möchten die Eisenbahn doch gar nicht demontierten, sondern erhalten und ausbauen.“
„Das ist es ja,“ sagte Herr K. „genau darin besteht unsere Schwierigkeit bei der Demontage.“
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Herr K. und der Unterschied
„Zwischen Deutschland und der Türkei bestehen ganz erhebliche Unterschiede“ sagte Herr K..
„Das ist gewißlich wahr,“ sagten die Leute,“ „denn in der Türkei läßt die Regierung türkische Polizisten mit Knüppeln und Tränengas gegen friedliche Demonstranten vorgehen, während die deutschen Regierungen in Deutschland deutsche Polizisten mit Knüppeln und Tränengas gegen friedliche Demonstranten vorgehen lassen.“
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Herr K. und die Bäume
„Manchmal müssen für den Fortschritt Opfer erbracht werden,“ sagte Herr K. „deshalb müssen eben manchmal auch einige Bäume gefällt werden.“
„Sie fällen die Bäume,“ sagten die Leute, „weil sie deren Schatten nicht verkaufen können.“
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Herr K. und die Geographie
„Auf die Polizei ist nicht immer Verlaß in Georgien“, sagte Herr K.
„Oh, jetzt verstehen wir das,“ sagten die Leute. „Georgien muss ein sehr großes Land sein, anscheinend reicht es von Frankfurt bis ans Schwarze Meer.“
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Herr K. und das Wetter
„Ein Gewitter zieht auf,“ sagte Herr K. „ein kräftiges Unwetter naht.“ „Hat er eben von dem Machthaber gesprochen?“ fragten einige Leute, „steht sein baldiges Ende bevor?“ –
„Ja, es ist an der Zeit,“ sagten sie, „dass der Gewalttäter stürzt“.
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Herr K. und die reine Lehre
Als Herr K. gefragt wurde, ob er sich selbst treu geblieben sei, reagierte er etwas irritiert und bat darum, die Frage zu präzisieren. „Neuerdings,“ entgegnete der Fragende, „hört man, dass viele junge Hindus gerne Rindfleisch essen. Nun ist es nicht an uns, dies zu kritisieren,“ fügte er hinzu. „Wenn aber ein Rindfleisch-essender Hindu von sich behaupten würde, er sei ein Vegetarier, dann entspräche dies nicht ganz der Wahrheit. Die Frage aber, wer sich treu geblieben ist, das ist die Frage nach der Wahrheit.“
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88
Herr K. und das Gespräch
„Ich bin kein Heiliger,“ sagte Herr K..
„Das wissen wir,“ sagten die Leute, „hatten wir nicht über Scheinheiligkeit gesprochen?“
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89
Herr K. und der Traum
Herr K. hatte einen merkwürdigen Traum. Er träumte von einer schönen Musik, von bunten Zelten und von Schmetterlingen in dem Schatten alter Bäume. Plötzlich stieg ein beißender Geruch in seine Nase und die wohltuende Wärme wich einem Gefühl der Kälte.
Als Herr K. aus dem Schlaf erwachte, wusste er für einen Augenblick nicht mehr, ob er in Deutschland war und von der Türkei geträumt hatte, oder ob er in der Türkei war und von Deutschland geträumt hatte.
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90
Herr K. und der gern gesehene Gast
Bei der Rückkehr an seinen früheren Studienort sei er etwas enttäuscht gewesen, sagte ein Besucher aus Fernost, der nach langen Jahren erstmals wieder in seine zweite Heimat im Südwesten Deutschlands gereist war; – und als er die fragenden Blicke seiner Gastgeber bemerkte, fügte er rasch hinzu, er sei sehr erstaunt gewesen, dass selbst der Bahnhof noch an der selben Stelle stehengeblieben sei.
Nun, sagte Herr K., die Bauarbeiten würden noch fortgeführt werden.
Damals, vor vielen Jahren, als er noch studiert habe, lenkte der Gast ein, habe er ohnehin nicht richtig verstanden, wozu die Verlegung des Bahnhofs gut gewesen sein sollte.
Dies könne er ihm leicht erklären, sagte Herr K., denn das Bauprojekt sei zwar sehr umstritten und schon immer umstritten gewesen, aber die Parteien, welche die Regierung stellten, seien nun einmal sehr schwierige Partner, und wenn der Bau eingestellt werden würde, dann könnte das dazu führen, dass einige Leute um ihre lukrativen Posten fürchten müßten.
Oh, wenn das so sei, dann könne er das sehr gut verstehen, sagte der Besucher mit einem freundlichen Lächeln, denn in seiner Heimat gäbe es auch viele korrupte Beamten.
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Herr K. und die Fanatiker
„Nach der Volksabstimmung,“ sagte Herr K. „sind höchstens noch ein paar tausend Marodeure gegen das Projekt“.
„Leider hat er recht,“ sagten die Leute, „wir, die wir uns hier aktiv gegen die Unvernunft wehren, sind nur wenige tausend Leute. Aber für das Projekt können nur geldgierige Profiteure sein, und es wird sich zeigen, wer den längeren Atem haben wird.“
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Herr K. und das LKA
„Daß im Internet mitgelesen wird,“ sagte Herr K. „das läßt sich leider nicht verhindern.“
„Wer aber,“ brausten einige Leute auf, „wer hat denn das LKA beauftragt, die Bürger zu überwachen?“ –
„Um die deutschen Geheimdienste müssen wir uns keine Sorgen machen,“ entgegneten andere, „wir haben ein gutes Bildungssystem, und auch manch ein Polizist kann lesen und schreiben; sorgen sollten wir uns vor allem um die Engländer und die Amerikaner, denn bei ihnen mangelt es an Fremdsprachenkenntnissen. Wir sollten uns in unseren privaten eMails um eine einfachere Sprache bemühen, sonst können die Lauscher und die Zensoren unsere Gedanken gar nicht verstehen. Wäre das nicht schade?“
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Herr K. und die Dienste
„Die USA sollten lieber ihre Geheimdienste überwachen, statt ihre Verbündeten“ sagte Herr K.
„Welch eine ausgezeichnete Idee,“ sagten die Leute, „vielleicht sollte die Regierung darüber nachdenken, ob nicht auch sie beispielsweise die Überwachung von Gottesdiensten einstellen sollte.“
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94
Herr K. und der Augenblick
„Alles hat seine Zeit“ sagte Herr K. „es kommt auf den richtigen Augenblick an.“
„Ach, das steht doch schon im Alten Testament,“ sagten die Leute. „jetzt verstehen wir, er ist ein frommer Mann.“ – „Er reist nach Rom und ins Heilige Land, und er denkt über den Sinn des Lebens nach.“ – „Er weiß, dass es Zeiten gibt, an denen gesät werden muss, und Zeiten, an denen die Ernte eingebracht werden sollte.“ – „Anscheinend denkt er, dass es jetzt an der Zeit ist, zu bauen und zu bauen und nochmals zu bauen; – und besser nicht über die Kosten zu reden.“ – „Wahrscheinlich wäre es jetzt sogar eine ganz besonders schlechte Zeit, die Kosten auf den Tisch zu legen, denn der große Betrug könnte sonst rascher beendet sein, als er begonnen wurde.“
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Herr K. und der Sprudel
Herr K. lebte in einer Stadt, in der es ein großes Mineralwasservorkommen gab. Dort gab es einen Brunnen, den die Leute einfach den Sauerbrunnen nannten.
Herr K. war der Meinung, dass das Wasser aus diesem Brunnen schauderhaft schmecken würde.
Die Einheimischen indessen, die das Wasser aus diesem Brunnen sehr gerne tranken, waren der Meinung, dass niemand diese Stadt verstehen könne, der nicht häufig von dem Sauerwasser getrunken hätte.
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Herr K. im Land der unbegrenzten Musikalität
Herr K. liebte das Reisen, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass ihn sein Weg früher oder später auch nach Musikalien führen musste. Auf diese Reise hatte er sich ganz besonders gefreut, denn er war ein großer Musikliebhaber, und es war bekannt, dass in diesem Land die größten Konzertsäle, die leistungsfähigsten Orgeln und die teuersten Orchester der Welt zu finden waren.
Rein zufällig kam er am 04. Juli, am Tag der Musik, in Musikalien an. Nicht wenig erstaunt war Herr K. indessen, als er in seinem Hotel von einem ihm unbekannten Mann angesprochen wurde, der ihm ins Ohr flüsterte, er sei ein Flötenspieler und fragte, ob Herr K. ihm helfen könne. Natürlich würde er ihm gerne helfen, sagte Herr K. wenn er ihm verraten würde, wofür oder wogegen er denn Hilfe benötige.
„Wofür ich Hilfe benötige?“ rief der Mann aus, um dann wieder sehr leise zu fragen, ob er denn nicht verstehe. „Ich bin ein Musiker,“ wisperte er, „und wir sind hier in Musikalien. Das Blasen von Pfeifen aller Art, wozu auch die Flöten gehören, ist hier strengstens verboten.“ Er könne sich nur einem Fremden anvertrauen, erklärte er, denn wenn die Regierung erfahren würde, dass er auch nur ein einziges Mal geflötet habe, dann würde sie ihn sofort verhaften lassen. Im schlimmsten Fall müsse er mit dem Tode rechnen, denn widerborstigen Musikern drohe in diesem Land die Todesstrafe.
Da sei er aber nun doch sehr merkwürdig berührt, sagte Herr K. Von dem grausamen Schicksal der Musiker in diesem kunstsinnigen Lande habe er bisher gar nichts gewusst. In seiner Heimat seien vergleichbare Dinge völlig undenkbar. Flötenspieler hätten dort allenfalls mit einer Hausdurchsuchung und mit der Beschlagnahme ihrer Instrumente zu rechnen.
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97
Herr K. und die Utopie von gestern
„Es geht voran,“ sagte Herr K. „Es mussten zwar einige Bäume gefällt werden, aber jetzt nimmt das Neubauviertel Gestalt an.“
„Ja, das stimmt.“ sagten die Leute, „Sie verbauen viel Beton und viel Asphalt. Es ist schon jetzt zu erkennen, dass es viel häßlicher werden wird, als wir je gedacht hatten.“
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98
Herr K. und die Eisenbahn
„Nicht wir haben dieses Projekt ausgedacht,“ sagte Herr K.
„Auch wer auf einen fahrenden Zug aufspringt,“ sagten die Leute, „kann in die Irre gehen.“
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99
Herr K. und die Rechenkunst
Angesprochen auf einen umstrittenen Wirtschaftsführer, der immer wieder durch falsche Prognosen und irreführende Zahlen von sich reden gemacht hatte, sagte Herr K., dass er diesen Herrn sehr schätze.
Da einige Zuhörer darüber sehr erstaunt waren, wurde die Frage gestellt, was es denn sei, das er an ihm so sehr zu schätzen wisse. „Es ist seine Geduld und seine Ausdauer,“ entgegnete Herr K. „er versteht sich bestens darauf, so lange rechnen zu lassen, bis das jeweils gerade erwünschte Ergebnis herauskommt.“
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100
Herr K. und hundert kleine und kleinste Geschichten
„Da machen die Leute ein großes Geschrei,“ stöhnte Herr K. „dabei könnte man alles auch mit wenigen Worten sagen.“
„Wie recht er doch wieder hat,“ sagten die Leute, „für die Wahrheit genügen oft ganz wenige Worte.“ –
„Aber vielleicht braucht es manchmal ein bißchen Platz,“ fügten sie hinzu, „für das Skizzieren absurder Ideen, für das Ausmalen fantastischer Reisen oder einfach für die Lust am Fabulieren.“
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101
Herr K. im Land des Schweigens
Auf seine Reise in das Land des Schweigens hatte sich Herr K. sehr gründlich vorbereitet. Insbesondere hatte er einige Wochen in der Klausur eines Klosters zugebracht, um sich auf ein langandauerndes Schweigen einzustellen und sich gut darauf vorzubereiten. Wie angenehm überrascht war er nach seiner Ankunft in dem fremden Land, als er überall Leute erblickte, die sich ohne jede Scheu angeregt miteinander unterhielten, lachten, plauderten und sich dabei sichtlich wohlfühlten.
Überrascht war er auch von der ausgesuchten Höflichkeit und der Gastfreundschaft, mit der ihm hier jedermann begegnete. Als er sich bei seinem Abschied auf dem Flughafen nochmals bei seinen Gastgebern bedankte, sagten diese, er sei auch ein sehr angenehmer Gast gewesen, der sich anscheinend recht schnell mit den Sitten des ihm fremden Landes vertraut gemacht hätte. Nun sah Herr K. den Zeitpunkt für gekommen, sich danach zu erkundigen, was es denn mit dem Schweigen auf sich habe, welches in dem Namen des Landes angesprochen werde.
Darüber brauche er sich nun wirklich keine Sorgen machen, entgegneten die Gastgeber lächelnd. So lange er die Augen vor den Problemen des Landes verschließe und diese nicht zu Kenntnis nehme, könne er ohne jede Angst vor Bevormundung oder Überwachung jederzeit alles ansprechen und alles sagen, was ihm in den Sinn kommen würde.
Das Einzige, worauf er im Land des Schweigens vielleicht achten müsse, sei es, möglichst zu vermeiden, dass er versehentlich Dinge thematisiere, die absprachegemäß nicht zu den Themen des aktuellen Wahlkampfs gehörten.
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102
Herr K. und die Affen, II
Seit seiner letzten Japanreise müsse er öfter an ein Bild denken, das er dort gesehen habe, sagte Herr K. schmunzelnd. In einem buddhistischen Tempel gebe es dort nämlich ein Relief mit drei Affen, von denen sich einer die Augen, ein anderer die Ohren und der letzte den Mund zuhalte.
„Es muss sich dabei wohl um ein Sinnbild handeln,“ sagten die Leute, „für einen Juristen, einen Musiker und einen Regierungssprecher.“ –
„Aber nein,“ sagten andere, „gemeint sind sicherlich ein Feuerwehrmann, der nicht sehenden Auges in die Katastrophe gehen möchte; ein Politiker, der die Bürgerproteste nicht mehr hören will; und ein Wähler, dem es angesichts der letzten Kostensteigerungen die Sprache verschlagen hat.“
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103
Herr K. und das Handwerk
Bei seiner Reise durch Tillurien wurde Herr K. eingeladen, eine Dreherei zu besichtigen. Er vermutete, dass es seinen Gastgebern nicht entgangen sein konnte, dass er sich für das Handwerk begeisterte, dass er gute Geräte und Maschinen bewunderte, und dass er sich für Bohrmaschinen, Drehbänke und dergleichen ganz besonders interessierte. Kurzum Herr K. freute sich auf den Besuch einer Fabrik oder einer interessanten Werkstatt.
Als er in einen grünen Vorort der Stadt gefahren wurde, wunderte er sich sehr, hier hätte er keinen Industriebetrieb vermutet, und als er durch einen grünen Garten in eine Kanzlei geführt wurde, vermutete er schon einen Irrtum und fragte nach, ob sie auch wirklich in einer Dreherei seien.
„Aber sicher,“ sagten seine Gastgeber, „wir sind sogar in einer der besten Drehereien des Landes.“ Der berühmte Dreher, der hier arbeite, erklärten sie, hätte es bisher noch immer geschafft, die Rechtslage so lange zu verdrehen, bis diese zu Gunsten seiner Auftraggeber ausgefallen sei.
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104
Herr K. und die Anhörung
Auf einer seiner Reisen durch Odeonien wurde Herr K. dazu eingeladen, als Zuschauer an einer Anhörung teilzunehmen. Während er in einer großen Halle auf der bequemen Tribüne saß, standen vorne auf der Bühne dicht gedrängt viele Leute. Herr K. war sehr gespannt darauf, zu hören, was diese zu sagen hätten.
Als eine Frau an das Dirigentenpult trat, wurde es in der ganzen Halle sehr leise und auf ein kleines Zeichen ihrer Hand begannen die vielen Leute auf der Bühne gleichzeitig zu reden, bis die Dirigentin abwinkte. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrmals mit verschiedener Lautstärke, einmal ganz leise, einmal sehr laut, dann wieder etwas leiser.
„Wenn so viele Leute durcheinanderreden, kann man doch gar nichts verstehen,“ sagte Herr K. erstaunt zu seinem Gastgeber.
„Aber das ist doch gerade das Gute daran,“ erwiderte dieser, „die Kunst des Zuhörens besteht nämlich darin, aus dem vielstimmigen Konzert stets das herauszuhören, was den eigenen Plänen und Absichten am besten entspricht.“
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105
Herr K. und die Kritik
Herr K. wurde gefragt, was er unter der kritischen Begleitung verstehe, die er angekündigt hätte.
„Sehen Sie“, sagte Herr K., „das ist mal wieder ein typisches Beispiel für die Berichterstattung der Stuttgarter Medien und wie einem seriösen Politiker das Wort im Munde herumgedreht wird. Ich habe nie von kritischer Begleitung gesprochen, sondern stets von britischer Bekleidung, die wegen des Klimawandels auch in Deutschland immer mehr zum Tragen kommen sollte.“
(Diese Geschichte wurde mit der freundlichen Genehmigung des Verfassers von einem Stuttgarter Diskussionsforum übernommen)
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106
Herr K. und der Cargo-Kult
An einem sonnigen Sonntag-Nachmittag saß Herr K. mit Freunden unter einem schattenspendenden Baum in seinem Garten. In der Runde war auch ein älterer Missionar, der nach seiner Rückkehr aus dem Pazifischen Ozean wieder in seiner schwäbischen Heimat lebte.
Das Merkwürdigste, was er je erlebt habe, erzählte dieser weitgereiste Theologe, sei ein seltsamer Kult gewesen, den er auf einer der fernen Inseln beobachten konnte. Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, hätten die einfachen Menschen, die dort gelebt hatten, Wachtürme und Telefone nachgebaut, allerdings in völliger Unkenntnis der Funktionsweise dieser Geräte. Mit ihren Holztelefonen hätten sie wie wild herumgefuchtelt und herumtelefoniert, und lange in der Hoffnung gewartet, dass bald wieder solch merkwürdige amerikanische Flugzeuge landen und allerlei Kostbarkeiten ausladen würden.
Ein junger Afrikaner, der in der nahen Universitätsstadt Ethnologie studierte und zufällig in der Runde mit dabei war, schüttelte sich bei dieser absonderlichen Vorstellung vor Lachen. Schließlich entschuldigte er sich für seinen Heiterkeitsausbruch und fügte erklärend hinzu, das er deshalb so lachen musste, weil diese Geschichte ihn an einen Zeitungsartikel erinnert habe, den er erst vor kurzem gelesen hatte. Dort sei die Rede davon gewesen, dass es Leute gäbe, die sich von dem Bau unnötiger Bürogebäude Arbeitsplätze und von dem Bau unnötiger Tunnels Wohlstand versprechen würden.
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107
Herr K. und der Fels in der Brandung
„Die Aufgabe eines Domino-Steins ist es“ sagte Herr K. „dass er im richtigen Moment umfällt. Auf keinen Fall sollte ein Stein zu früh kippen, denn wenn er zu früh kippt, dann könnte er eine ganze Reihe von Steinen zum Umfallen bringen. Klack, klack, klack, klack, klack… Wenn viele sorgfältig aufgebaute Steine mit einem Mal umfallen, einer nach dem anderen, dann ist das ein so interessantes Schauspiel, dass dies auch schon im Film festgehalten worden ist.”
„Was ein Domino-Stein ist, das wußten wir schon,“ sagten die Leute. „Wir hätten gerne erfahren, was der Unterschied zwischen einem Politiker und einem Dominostein sein könnte.“
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108
Herr K. und das Lob
Als Herr K. die Altersgrenze erreicht hatte, sagte er, dass er erneut für sein Amt kandidieren werde.
„Oh,“ sagten die Leute, „dann werden wir ihn wohl wegloben müssen.“
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109
Herr K. und der Kassensturz
Bei einem Kassensturz stellte Herr K. fest, dass ihm sehr viel Geld fehlte. „Das Projekt werde ich trotzdem durchführen,“ sagte er.
„Aber Sie können das gar nicht bezahlen,“ sagten die Leute.
„Mein Partner wird die Mehrkosten übernehmen,“ sagte Herr K.
„Hat er das bereits zugestanden?“ fragten die Leute.
„Nein,“ sagte Herr K. „aber ich bin der Meinung, dass er bezahlen muss.“
„Wäre es nicht gut,“ fragten die Leute, „diese Frage verbindlich zu klären?“
„Nein, nein,“ sagte Herr K. „denn wenn ich versuchen würde, ein Gericht anzurufen, dann könnte sich herausstellen, dass ich nicht recht bekommen würde.“
„Hat er vielleicht Angst,“ fragten sich die Leute, „einen Fehler zuzugeben?“
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110
Herr K. und das Rätsel
Er könne nicht wissen, welche der Lösungen die bessere sei, sagte Herr K..
„Komisch,“ sagten die Leute, „gerade er hatte das früher doch schon gewußt.“ –
„Er weiß, dass wir es wissen; denn wir haben es ihm gesagt.“ –
„Es ist ein Rätsel,“ sagten sie, „warum er behauptet, dass er es nicht weiß; obwohl ihm klar sein muss, dass wir wissen, dass er wissen muss, dass wir wissen, dass er es weiß.“
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Herr K. und die Traumtänzer
„Wer sich für eine Dummheit stark macht, ist ein Grasdackel,“ sagte Herr K..
„Für jemanden, der einen Fehler macht, kann man Verständnis aufbringen,“ sagten die Leute, „aber ein Verräter ist schlimmer als ein Dummkopf.“
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Herr K. im Dialog
„Man kann nicht nach den Sternen greifen,“ sagte Herr K.
„Sie vergreifen sich an unseren Bäumen,“ sagten die Leute.
“In der Demokratie zählen Mehrheiten,“ sagte Herr K.
„Sie schrecken nicht einmal davor zurück,“ sagten die Leute, „das Mineralwasser zu gefährden“.
„Politik ist die Kunst des Machbaren,“ sagte Herr K.
„Wenn wir sie nicht daran hindern,“ sagten die Leute, „dann werden sie auch vor dem Trinkwasser nicht Halt machen.“
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113
Herr K. und der Esel
Herr K. hatte einen Esel, das war ein ausgesprochen schönes Tier, aber es war etwas störrisch.
Natürlich hatte Herr K. mit seinem Esel abgesprochen, dass er ihn stets ordentlich füttern würde. Damit war der Esel auch gerne einverstanden gewesen; allerdings stellte sich im Laufe der Zeit heraus, dass die Vorstellungen darüber, was eine ordentliche Portion Futter war, sehr weit auseinander gingen.
„Wenn ich nicht einen gehörigen Nachschlag bekomme,“ sagte der Esel, „dann gehe ich keinen Schritt weiter.“
„Aber ich habe vorgesorgt,“ sagte Herr K. „das Futter für die halbe Wegstrecke ist schon in trockenen Tüchern, und wenn wir den halben Weg gegangen sein werden, dann reden wir im Guten miteinander.“
„Das ist mir viel zu wenig,“ sagte der Esel, „ich möchte nach jedem Abschnitt des Wegs eine zusätzliche Portion Futter, und wenn ich diese nicht bekomme, dann werde ich vor Gericht klagen.“
„Aber die Scheune ist schon ganz voll,“ sagte Herr K. „mehr geht in die Scheune gar nicht hinein.“
„Dann bestehe ich darauf,“ sagte der Esel, „dass eine zusätzliche Scheune gebaut wird. Das ist für uns alle von Vorteil, denn auf diese Weise kann keiner behaupten, dass das Dach erhöht worden sei, und niemand kann sagen, die Scheune sei ein Fass ohne Boden.“
Als der Streit so weit gediehen war, rieten einige Bürger Herrn K., dass er einen Rechtsanwalt aufsuchen sollte. Das sei nicht nötig, sagte Herr K., denn er sei bisher mit seinem Esel gut zurechtgekommen.
Daraufhin wandten sich einige Leute an den Hund des Herrn K. und baten diesen, er möge doch vor Gericht gegen den gefräßigen Esel klagen.
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114
Herr K. und die Schönheit
„Jedermann weiß, dass Sonnenblumen ein Symbol für die Schönheit und die Bedrohtheit der Natur darstellen,“ sagte Herr K. „deshalb muss das törichte Gerede über Sonnenblumen aufhören. Es stellt einen all zu leicht durchschaubaren Versuch dar, das Thema Stuttgart 21 wegen einigen wenigen bedrohten Tier- und Pflanzenarten entgegen der Absprache durch die Hintertüre doch wieder zum Thema des Wahlkampfs zu machen.“
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115
Herr K. handelt mit Katzen
Angesprochen, auf die Frage, ob er ein Katzenfreund sei, sagte Herr K.: „In meiner Jugend habe ich zwar Biologie studiert, aber deshalb bin ich nicht unbedingt ein großer Katzenliebhaber.“
„Merkwürdig,“ sagten die Leute, „erst hat er eine Katze im Sack gekauft, dann hat er versucht, uns diese Katze zu verkaufen, und jetzt behauptet er, er sei gar kein Katzenfreund.“
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116
Herr K. und der Umbruch
„Der Wechsel beginnt,“ sagte Herr K..
„Woher nur das Gefühl kommt,“ fragten sich die Leute, „dass die Zeit fast stehen bleibt.“
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117
Herr K. und die Theorie
„Ist denn die Schweiz weniger kapitalistisch als Italien oder Deutschland,“ fragten einige.
„Aber nein,“ sagte Herr K..
„Merkwürdig,“ sagten die Leute, „in der Schweiz fahren die Züge zuverlässig.“
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118
Herr K. und der Fortschritt, II
„Wir können Magnetschwebebahnen bauen“, sagte Herr K. „diese sind schneller als ein Flugzeug und sogar schneller als ein Inter-City-Express.“
„Wie schön,“ sagten die Leute, „dass uns niemand dazu zwingen kann, dies auch zu tun.“
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119
Herr K. und die Geschichte, I
„Das Rad der Geschichte,“ sagte Herr K. „lässt sich nicht zurückdrehen.“
„Aber umlenken,“ sagten die Leute, „umlenken könnten wir es schon.“
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120
Herr K. und die Tradition
„Die Prinzipien unserer Politik sind ganz einfach,“ sagte Herr K. „wir sorgen für besseren Unterricht – mit weniger Lehrern; wir bringen mehr Verkehr – auf weniger Schienen; und wir achten mehr auf Mehrheiten als auf Wahrheiten.“
„Er ist ein Traditionalist,“ sagten die Leute, „denn in diesem Land hat es Tradition, die Wähler zu betrügen.“
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121
Herr K. und die Veränderung
Als er gefragt wurde, warum er seine Meinung geändert habe, erwiderte Herr K., er habe eben einen schwierigen Partner.
„Das verstehen wir,“ sagten die Leute, „denn wenn man schwierige Partner hat, ist es besonders schwierig, Rückgrat zu bewahren; und zugleich ist es besonders leicht, eine Ausrede zu finden.“
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122
Herr K. in Gigantomanien
Seine zweite Jugend verbrachte Herr K. in dem schönen Gigantomanien. Dieses Land bestand noch nicht sehr lange, und in der Anfangszeit war es, wie man ihm schmunzelnd zugestand, ein bisschen rückständig gewesen. Zugleich waren seine Einwohner damals aber sehr stolz und sehr selbstbewusst. Aus dieser knapp hundert Jahre zurückliegenden Zeit, in der es auch in Gigantomanien noch Kaiser und Könige gegeben hatte, und als dort noch die größten Schlachtschiffe und die dicksten Kanonen gebaut wurden, aus dieser Zeit stamme der Spruch: „am thomanischen Wesen soll die Welt genesen!“ Heutzutage könne man über solche Anflüge von Tomanismus natürlich nur noch lächeln. Die Gesellschaft habe sich schließlich weiterentwickelt, versicherte man ihm gerne, und man habe dazugelernt.
Dies auch deshalb, weil es in dem Land, wie man zugeben müsse, eine sehr schlimme Zeit gegeben habe. Das sei die Zeit des gigantischen Schlachtenlenkers gewesen, des „Gischlales“, und an diese Zeit, aus der es nur noch die eine oder andere Ruine gäbe, würde man natürlich nicht gerne zurückdenken. Damals musste alles vom Größten sein: die größten Städte, die größten Flughäfen, die größten Eisenbahnen, und selbst wenn ein Strandbad gebaut werden sollte, musste es gleich das größte Strandbad der Welt werden. Zum Glück seien viele der damaligen Pläne niemals umgesetzt worden.
Heute dagegen, sei alles ganz anders, wurde Herrn K. versichert. Heute sei Gigantomanien ein bescheidenes Land und eine fortschrittliche Demokratie, vielleicht sogar die fortschrittlichste Demokratie überhaupt. Das Land habe die besten Ingenieure und vor allem ohne Frage die besten Tunnelbauer der ganzen Welt. Hier gäbe es nicht nur die schwärzeste, sondern auch die röteste und die grünste aller Parteien. Die Beteiligung der Bürger sei die beste aller denkbaren Bürgerbeteiligungen; und die zukünftig geplanten Projekte seien die bestgeplanten Großprojekte, die man sich überhaupt nur vorstellen könne.
Heute, ja heute stehe in dem Land alles zum Besten, und Gigantomania und Thomanienalismus seien weitgehendst überwunden.
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123
Herr K. und der Wandel
„Die Umfragen sagen einen Wahlsieg der bestehenden Kräfte voraus,“ sagte Herr K.
„Wenn es nach den Umfragen gehen würde, dann würde es nie einen Wandel geben,“ sagten die Leute.
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124
Herr K. und die Farben
„Grün ist eine schöne Farbe,“ sagte Herr K..
„Meint er jetzt rot-grün oder meint er schwarz-grün?“ fragten die Leute. „Manche Dinge ergeben vor einem schwarzen Hintergrund wenig Sinn,“ sagten sie, „und vor einem roten Hintergrund können sie erst recht nicht bestehen.“
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125
Herr K. und die Macht
„Wer an die Macht kommen will, muss sich mit den Mächtigen gut stellen.“ sagte Herr K.
„Haben wir es nicht schon erlebt,“ sagten die Leute, „dass Mächtige von ihrem Thron gestürzt sind?“
„Vielleicht wäre es manchmal klüger,“ sagten sie, „an der Wahrheit festzuhalten, statt an der Macht.“
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Herr K. und der Weg, II
„Es kommt vor, dass sich die Mehrheit auf einem Irrweg befindet,“ sagte Herr K., „aber dann ist es trotzdem die Mehrheit.“
„Ja, es kommt vor, dass sich die Mehrheit auf einen Irrweg begibt,“ sagten die Leute, „aber dann ist es trotzdem ein Irrweg.“
„Die Mehrheit entscheidet,“ sagte Herr K..
“Wer merkt, dass er auf dem falschen Weg ist und trotzdem unbeirrt weitergeht, der ist ein Narr,“ sagten die Leute.
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Herr K. und der Riß
Aufmerksame Beobachter hatten einen Riß in der Fassade eines Turmes entdeckt.
„Dieser Riß ist ohne Bedeutung,“ sagte Herr K..
„Der Riß,“ sagten die Leute, „ist ein Vorbote auf kommende Probleme.“ „Der Riß spaltet nicht nur die Fassade“ sagten andere, „er geht tief durch die ganze Gesellschaft.“
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128
Herr K. und der Teppichhändler
Befragt nach dem Politiker einer konkurrierenden Partei sagte Herr K. knapp: „Es ist nicht wahr, dass er sich nur für die Profitinteressen von Unternehmen eingesetzt hat.“
„Das wissen wir,“ sagten die Leute, „Es ist bekannt, dass er auch gescheiterten Politikern lukrative Posten verschafft hat.“
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129
Herr K. und der Seitenwechsel
Angesprochen auf ein destruktives Projekt, das er früher vehement kritisiert hatte, sagte Herr K.: „Ich habe meine Meinung geändert.“
„Wenn man grundlegende Werte aufgibt und zur Gegenseite überläuft,“ fragten die Leute, „nennt man das jetzt neuerdings Meinungsänderung?“
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130
Der Käse, die Katze und die Eisenbahn
„Der Käse ist gegessen,“ sagte Herr K.
„Aber bezahlt ist er noch lange nicht,“ sagten die Leute.
„Es geht doch nicht darum, wer bezahlt,“ sagte Herr K., „es geht darum, dass die Katze bereits den Baum hinaufgeklettert ist.“
„Hat denn die Katze den Käse gegessen?“ fragten die Leute, „und haben wir nicht viele Katzen gesehen, die von Bäumen auch wieder heruntergekommen sind?“
„Lassen Sie es mich noch einmal anders sagen,“ sagte Herr K. „die Würfel sind gefallen, der Zug ist abgefahren.“
„Ja, diesen Eindruck haben wir in letzter Zeit auch bekommen,“ sagten die Leute, „das dass die Abfahrtszeiten der Züge neuerdings ausgewürfelt werden. Gut, dass die Züge wenigstens in beide Richtungen fahren können.“
am Käs liggds fai nedd
dorr Käs isch gessa,
dorr Fisch isch budsd,
d´Katz isch scho dorr Baum nuff.
d´Würfel send gfalla.
dorr Zug isch abg´fahra.
abbor drodsdem isch s´ledschde Word no nedd gschwädsd.
denn
dsahld isch der Käs no lang nedd,
ond d´Fisch überlassa morr de Fischköpf.
die Katz kommt au widder ronder.
nach de Würfel richdad mir uns nedd.
so lang überhaupt no Züg fahrad, könna morr ja froh sai.
on denne Kerle, die glaubad sie kendad alles aussidsa,
denne werda morr scho no dorr Marsch bloasa.
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131
Herr K. und der Test
„Er hat recht,“ sagten die Leute, „dieses Projekt ist kein Wahlkampfthema. Dieses große Projekt ähnelt eher einem Lackmustest. An diesem Beispiel lässt sich nämlich leicht erkennen, ob jemand seine Farbe gewechselt hat.“
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132
Herr K. und die Wahrheit, IV
„Sie wollen uns ein X für ein U vormachen,“ sagten die Leute, „mit der Wahrheit nehmen sie es nicht all zu genau.“
“Glauben Sie mir,“ sagte Herr K. „bei Wahlen geht es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten.“
„Er wiederholt sich,“ sagten die Leute, „aber dadurch wird es nicht besser.“ –
„Sie haben ein faulendes Stück Holz in der Hand, uns aber möchten sie weismachen, es sei ein rostiger Nagel.“
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133
Herr K. und der Geruch
„Die Hirten müssen den Geruch der Herde annehmen,“ sagte einer.
„Aber ich bin kein Kuhhirt,“ sagte Herr K. „ist es etwa meine Schuld, wenn mir die Herde gar zu bereitwillig folgt?“
„Es stimmt,“ berichtete ein anderer, „er hat gesagt, dass die Hirten den Geruch der Herde annehmen sollten. Vielleicht hat er damit gemeint, dass wir uns von den Düften der Paläste nicht all zu sehr betören lassen sollten, weil wir sonst den Geruch der Herde nicht mehr erkennen können.“
„Oh,“ sagten andere, „es genügt nicht immer, den Gestank der Herde zu ertragen, manchmal muss auch der Stall gemistet werden.“
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134
Herr K. und die direkte Demokratie
„Natürlich streben wir nach Demokratie,“ sagte der Besucher aus einem orientalischen Land, „aber Ihr müsst verstehen, dass es bei uns für die Einführung von Elementen direkter Demokratie noch zu früh ist. Unser Land ist jung und noch wenig gefestigt. Bei uns würde direkte Demokratie den Geist der Opposition stärken und ins Chaos führen.“
„Aber nein,“ sagte Herr K. „diese Bedenken sind gänzlich unbegründet. Die hohe Kunst besteht darin, Elemente direkter Demokratie so einzusetzen, dass sie die sozialen Bewegungen und den Protest schwächen.“
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135
Herr K. und das Rad
Als bekannt wurde, dass Herr K. vorhatte, Riesenrad zu fahren, mokierten sich die Leute darüber.
„Darf ich etwa nicht einmal mehr Riesenrad fahren?“ fragte Herr K.
„Doch, doch,“ sagten die Leute, „wir wundern uns nur über den Termin. Denn wer auf den Rummel geht, der sollte den passenden Zeitpunkt gut auswählen.“
„Aber es ist doch sehr passend,“ sagten andere, „denn das Riesenrad steckt voller Symbolik. Es steht sowohl für den Aufstieg, als auch für den Abstieg.“
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136
Herr K. und der Kostendeckel, II
„Ja,“ sagte Herr K., „die Kosten müssen gedeckelt werden.“
„Nein,“ sagten die Leute, „die Kosten dürfen nicht unter einem Deckel verschwinden, die Kosten müssen offengelegt werden.“
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Herr K. und das Recht, I
„Was sind das für Zeiten,“ sagte Herr K., „wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist?“
„Die Zeiten haben sich geändert,“ sagten die Leute, „Sie reden nicht mehr darüber, sondern sie schreddern Bäume, und dieses frevelhafte Treiben decken sie – im Namen des Rechts – mit tausenden von Polizisten.“
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Herr K. und der Fehler
Als die Schüler auf die Straße gingen, um gegen die Abschiebung einer Mitschülerin zu demonstrieren, sagte Herr K.: „Es wurden keine Fehler gemacht, denn das Gesetz wurde eingehalten.“
„Wenn dem so ist,“ sagten die Leute, „dann liegt der Fehler im Gesetz.“
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Im Original lautet der Text wie folgt: „Il n’y a pas eu de faute, la loi a été respectée“. (Francois Hollande, zitiert in der Le Monde)
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Herr K., der Stresstest und die Leistungsfähigkeit
„Es ist ein Betrug,“ sagten die Leute.
„Aber die Regierung hat die Rechnung anerkannt,“ sagte Herr K..
„Wir haben es nachgerechnet,“ sagten die Leute, „es ist ein Betrug.“
„Aber das Gericht hat die Rechnung anerkannt,“ sagte Herr K..
„Wird eine falsche Rechnung dadurch richtig,“ fragen die Leute, „dass jemand beschließt, diese Rechnung anzuerkennen?“
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140
Herr K. und die Vögel
„Reden ist Silber,“ sagte Herr K., „Schweigen ist Gold.“
„Aber warum ?“ fragten die Leute.
„Es soll Leute geben,“ sagten andere, „die sich dafür interessieren, was wir zu sagen haben: so sehr, dass sie alle unsere Gespräche aufzeichnen. Inzwischen müssen sie einen Pool an Geschwätzigkeit zusammengetragen haben, der selbst das Wortgeklingel der Talkshows und der Fernsehdiskussionen noch bei weitem übertrifft. Welch eine riesige Kloake für künftige Datenarchäologen. Die Vertreter dieser Politik des Zuhörens erstellen sogar von Zeit zu Zeit Lageberichte für die Saubermänner der Regierungen. Vielleicht liegt es daran, dass die offiziellen Proteste gegen die Sammelwut und die Sammelleidenschaft so zahnlos ausfallen.“ –
„Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“
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141
Herr K. und die Rettung
Vor dem Haus wuchsen hübsche Blumen, über die sich viele Leute beim Vorübergehen sehr freuten. Diese Blumen mussten aber regelmäßig gegossen werden. Als ein Nachbar, der sich seit langen darum gekümmert hatte, in einem heißen Sommer für einige Tage verreisen musste, fragte dieser Herrn K., ob er in der Zwischenzeit das Gießen der Blumen übernehmen könne.
„Es ist sehr nett, dass Sie mich fragen,“ entgegnete Herr K. „und ich fühle mich dadurch sehr geehrt. Denn Blumen sind sehr wichtig; sie locken Bienen und andere nützliche Insekten an, sie verbessern den Boden und tragen zu einer guten Umwelt und zum Klimaschutz bei. Allerdings bin ich kein Träumer und will kein Gutmensch sein. Ich habe nicht vergessen, dass vermeintliche Weltverbesserer viel Unheil über die Menschen gebracht haben. Für die Rettung der Welt bin ich nicht zuständig. Deshalb kann ich die Blumen leider nicht gießen.“
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auch andere sind nicht zuständig: „…Zu einer förmlichen Antwort der Staatsrätin kam es bislang nicht. Ein Mitglied ihres Führungsstabes hat aber in einem ausführlichen Telefonat dargelegt, die Staatsrätin werde nichts unternehmen. Sie sei weder zuständig noch sei etwas zu machen.“
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Herr K. und die Geschichte, II
In gewisser Weise könnte man den Eindruck gewinnen, sagte Herr K., dass sich die Geschichte manchmal wiederholt. Beispielsweise bei der Atomenergie, da könnte man doch fast meinen, dass sich manch ein Politiker vom Saulus zum Paulus gewandelt habe.
Dem könne er nur zustimmen, sagte einer seiner Gesprächspartner. Jener historische Saulus habe als Christenverfolger begonnen, und doch sei er, nach einem einschneidenden Erlebnis, zu einem der wichtigsten Propagandisten des Christentums geworden. Es sei wohl in der Geschichte immer wieder vorgekommen, dass jemand, nach einer überraschenden Erkenntnis, sein Leben völlig umgestellt habe.
„Man kann noch weitergehen,“ sagten die Leute, „manchmal wiederholt sich die Geschichte sogar in der umgekehrten Reihenfolge: Es gibt Leute, die haben die Wahrheit schon einmal sehr gut gekannt; sich dann aber in Propagandisten einer schlechten Sache verwandelt. Diese Leute sind also sozusagen vom Paulus zum Saulus geworden, oder, anders ausgedrückt, vom Skeptiker zur Tunnelpatin.“
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Herr K. studiert das Recht
In jungen Jahren interessierte sich Herr K. für das Recht. Als er im Grundgesetz las, fiel ihm auf, dass dort für bestimmte Projekte eine bestimmte Finanzierungsart, die sogenannte Mischfinanzierung, ausgeschlossen wurde. Da er sich nicht dem Vorwurf der Hobbyjuristerei aussetzen wollte, beauftragte er einen namhaften Juristen, die Gültigkeit dieser Regelung zu prüfen. Der hochrangige Jurist bestätigte seine Auffassung: die Mischfinanzierung, beispielsweise von Schienenwegen, ist verboten, und dieses Verbot hat sogar Verfassungsrang. Erst nach der fachwissenschaftlichen Prüfung durch den Experten, ging Herr K. mit seiner Erkenntnis an die Öffentlichkeit.
Später, als er an Alter und Weisheit zugenommen hatte, änderte Herr K. seine Meinung.
„Wir haben das immer so gemacht, und wir werden das weiterhin so machen,“ sagte er jetzt.
„Hat sich denn die Rechtslage geändert?“ fragten die Leute.
„Aber nein,“ sagten andere, „er hat nur ein Amt bekommen. Nicht die Rechtslage hat sich geändert, sondern die Höhe seiner Bezüge.“
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144
Herr K. und die Geschichte, III
„Die Geschichte,“ sagte Herr K., „lässt sich verstehen, als ein großes Welten-Theater.“
„So wird es wohl sein,“ sagten die Leute, „aber dann sind wir gerade in einem ziemlich schlechten Stück.“ –
„Im Augenblick“ sagten sie, „sieht es eher aus, wie ein schlechter Film aus einer Vorabend-Serie: Eine Bande von Verbrechern plant eine unfallträchtige Infrastruktur und verantwortungslose Politiker klatschen Beifall. Wirtschaftsführer unterstützen das kriminelle Vorhaben, und werden dafür mit akademischen Ehrentiteln überhäuft. Leute, die sich vor kurzem noch zierten, schlüpfen jetzt in die Rolle des Tunnelmaskottchens. Demnächst will die Bau-Mafia auch noch nach dem Mineralwasser greifen. Es ist nicht ganz einfach, sich vorzustellen, wie die Regie noch vor den Abendnachrichten die Kurve zu dem Happy-End kriegen möchte.“
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145
Herr K. versteht die Eisenbahn
„Nachdem sich alle zuständigen Gremien dafür ausgesprochen haben, dass das Projekt gebaut werden soll,“ sagte Herr K. „und nachdem sich die Bevölkerung sogar in einer Volksabstimmung dafür entschieden hat,“ sagte er, „muss die Bahn nun zeigen, dass sie die Pläne auch umsetzen und das Projekt realisieren kann.“
„Von dem Projekt, über das in der Volksabstimmung abgestimmt wurde,“ sagten die Leute, „ist nicht einmal der Kostendeckel übriggeblieben.“ –
„Ob die Bahn nicht zuerst zeigen sollte,“ fragten sie, „ob sie dafür sorgen kann, dass Züge und S-Bahnen wieder etwas zuverlässiger verkehren?“
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146
Herr K. und die Risiken
Nach den 122 Risiken des Projekts gefragt, erwiderte Herr K., von 121 Risiken habe er schon gehört, diese seien von einem namhaften Ingenieur benannt worden.
Auch er wisse nicht, was mit den 122 Risiken gemeint sein könnte, ergänzte ein Gesprächspartner. Aber, sagte er, manchmal habe er sich schon gefragt, wann der Schwindel wohl auffliegen werde. Es bestehe ja immer die Gefahr, dass am Ende die Wahrheit ans Licht kommen könnte.
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147
Herr K. und die Minderheit
„In der Demokratie entscheiden die Mehrheiten,“ sagte Herr K.
„Und die Minderheiten?“ fragten die Leute, „entscheidet nicht der Umgang mit den Minderheiten über die Demokratie?“
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148
Herr K., die Juchtenkäfer, die Fledermäuse, Schweinswale und grüne Papageien
„Es geht um die Lösung der großen Fragen,“ sagte Herr K. „Bei der Rettung des Klimas können wir doch auf die Gelbbauchunke keine Rücksicht nehmen.“
„Die großen Dinge,“ sagten die Leute, „setzen sich aus vielen kleinen Dingen zusammen. Wenn wir schon bei der Rettung der Gelbbauchunke scheitern, dann werden wir wohl auch mit der Verhinderung der kommenden Klimakatastrophen keinen Erfolg haben.“
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Herr K. wundert sich
„Was beklagt Ihr Euch über die Tunnelpaten?“ fragte Herr K. „habt Ihr sie nicht selbst in Amt und Würden gewählt?“
„Doch, doch, das stimmt,“ sagten die Leute, „aber wir hatten uns in ihnen getäuscht. Denn vor den Wahlen redeten sie ganz vernünftig. Vor der Wahl kannten sie die Wahrheit, und ihre Versprechungen klangen durchaus glaubhaft.“
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Herr K. und die Heilige
Als er zu seiner Wanderung ins Erzgebirge aufgebrochen war, schien die Sonne, aber gegen Abend zog Nebel auf, und weil ihn einige Abraumhalden irritierten, verlor er den Überblick und die Orientierung. Ein kühler Wind kam auf und der Himmel war zunehmend von dunklen Wolken bedeckt. Als auch noch ein dichtes Schneetreiben einsetzte, mit dem er so früh im Herbst keinesfalls gerechnet hatte, war er sehr froh, als er einen alten Schuppen entdeckte, in dem er sich unterstellen konnte.
Die Türe ließ sich öffnen, und er merkte trotz der Dunkelheit, dass er sich am Eingang zu einem verfallenen Schacht befand. Hier musste es vor langer Zeit einmal Bergbau gegeben haben. Er hörte Schritte und tatsächlich kam ihm eine junge Frau entgegen, die ihn freundlich begrüßte. Ob er vor dem Unwetter geflüchtet sei, fragte sie ihn. Ja, es sei wohl so, dass draußen ein rechter Sturm aufgekommen sei. Sie unterhielten sich eine Weile über belanglose Dinge, und beiläufig erwähnte die junge Frau, dass sie Barbara heißen würde. Doch, sagte sie, die Geschichte des Schachts sei ihr sehr gut vertraut, weil sie aus der hiesigen Gegend stamme. Früher seien die Leute hier sehr arm gewesen, und die Arbeit im Berg war sehr hart und außerordentlich gefährlich. Leichtfertig sollte man keinen Stollen in die Tiefe treiben, sagte sie, schon mancher hätte mit seinem Leben dafür bezahlt.
Es war spät, und Herr K. war ziemlich müde. Er war eingenickt, und er musste ziemlich lange geschlafen haben, denn als er erwachte, war es draußen schon hell. Das Unwetter war vorüber. Die junge Frau war nicht mehr da, er konnte sich nicht von ihr verabschieden. Als er seinen Weg fortsetzte, dachte er noch eine Weile über das Gespräch nach. Als er aber das nächste Dorf erreichte, hatte er recht schnell alles wieder vergessen.
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Herr K. und der bestens bewachte Bahnhofsbau
„Wenn man heute einen Bahnhof bauen möchte, dann ist das kostspielig,“ sagte Herr K., „denn man braucht viele Planer, viele Bauarbeiter , viele Ingenieure und viel Zeit.“
„Wenn man heute einen Bahnhof zerstören möchte, dann ist das noch viel kostspieliger,“ sagten die Leute, „denn man braucht viele Propagandisten, um die Wahrheit zu verdrehen; viele Polizisten, um die protestierenden Bürger in Schach zu halten; man braucht korrupte Beamten, um die Sondergenehmigungen zu erlassen; man braucht gewissenlose Staatsanwälte und geneigte Richter; und es besteht überdies die Gefahr, dass man am Ende die eigenen Lügen auch noch selbst glaubt.“
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Herr K. und die Kunst, II
An einem freien Nachmittag besuchte Herr K. in einer kleinen Stadt südlich von Stuttgart eine Ausstellung von Holzschnitten, die in einem geräumigen Fachwerkhaus untergebracht war. Besonders angetan hatte es ihm ein Triptychon mit dem merkwürdigen Titel: „In drei Teufels Namen“. Der Name der Bildgruppe war wirklich merkwürdig, denn eigentlich war der Holzschneider vor allem für seine Bilder von Engeln berühmt.
Auf den drei Bildern waren keine Teufel abgebildet, sondern auf dem ersten Bild war ein vornehmer Herr in einem grünen Anzug zu sehen, mit einem Gewehr und einem Fernglas, ein stattlicher Jäger. Auf dem mittleren Bild wurde eine schöne Frau gezeigt, mit langen roten Haaren, und auf dem dritten Bild sah man einen Mönch in einer braunen Kutte mit einem Rosenkranz aus weißen Perlen in der Hand.
Herr K. setzte sich auf einen Stuhl, um die Bilder noch ein bisschen länger zu betrachten. Er saß schon eine kleine Weile, als ein älterer Mann mit einem kleinen Jungen an der Hand vorbeikam. „Opa, warum hat der Mann auf dem Bild so einen komischen Fuß?“ fragte der Junge. „Weißt Du,“ antwortete der alte Mann, „es gibt keine Teufel, aber früher haben die Leute geglaubt, dass es Teufel gäbe, und die Teufel, die es natürlich nicht gibt, haben sie sich mit einem Hinkefuß vorgestellt.“
„Das ist komisch,“ sagte der kleine Junge beim Weitergehen.
Nach einiger Zeit drängelte sich eine Gruppe von Schülern mit Schubsen und Lachen um die Bilder. Vor allem die Bezeichnung der Bildergruppe, „in drei Teufels Namen“, löste ein nicht enden wollendes Gekicher aus.
„Hier kann man es sehen,“ sagte einer der Jungen, „zwischen den beiden Teufeln eine Frau, auch noch mit roten Haaren.“
„Ist doch klar, sie ist die Hauptperson der Hölle,“ sagte ein anderer. Ein Museumsaufseher kam vorbei und forderte die Schüler auf, ein bisschen leiser zu sein.
Herr K. fragte den Aufseher, ob er ihm etwas über die Bilder sagen könne. Nein, das tue ihm leid, sagte der Aufseher. Der berühmte Holzschneider habe sich damals intensiv mit der neueren deutschen Geschichte befasst, aber das Wenige, was er in der Literatur über das Triptychon habe finden können, sei ein Hinweis des Künstlers gewesen, dass der Teufel nie zweimal in gleicher Gestalt erscheinen würde.
„Wollte er dies mit dem Bild zum Ausdruck bringen,“ fragte Herr K.. Das wisse er nicht so richtig, sagte der Aufseher, aber ursprünglich habe der Künstler wohl geplant gehabt, die Bildergruppe durch ein viertes Bild zu ergänzen. Auf diesem Bild seien aber nur unverständliche Zeichen zu sehen gewesen, deshalb habe der Meister es wohl vorgezogen, die vierte Bildtafel zu vernichten.
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Herr K. träumt
In letzter Zeit träumte Herr K. hin und wieder von Töpfen und Pfannen. Es waren keine unangenehme Träume, denn sie waren häufig von einer Art orientalischer Musik begleitet. Neulich aber war in einem seiner Träume ein Dampfkochtopf explodiert, und erschreckender noch war der Traum, in dem er aus der Regentonne Wasser schöpfen wollte, als er aber den Deckel anhob, bemerkte er, dass die Tonne leer war, und dort, wo das Wasser hätte sein sollen, öffnete sich ein gähnendes Loch in die Tiefe.
Über einen Traum wunderte er sich noch am nächsten Tag, denn er hatte von Elefanten geträumt, eine Herde von sieben weißen Elefanten, die durch seinen Garten marschierten und alles, was sie dort vorfanden, mit ihren langen Rüsseln aufsaugten. Nein, marschieren war nicht das richtige Wort, denn sie fuhren auf Rädern und hinterließen eine Spur der Verwüstung.
Einige Tage später wiederholte sich der Traum, wieder kamen die gierigen Elefanten in seinen schönen und geliebten Garten gefahren, um alles kurz und klein zu fressen; – nur dass sich dann plötzlich der Himmel verdunkelte, weil sieben große schwarze Elefanten zwischen den Wolken auftauchten. Es waren fliegende Elefanten mit weiten dunklen Schwingen, die sich auf die weißen Elefanten stürzten und diese fraßen.
Dies war so erschreckend, dass Herr K. versuchte, davonzulaufen, aber so sehr er auch rannte, er kam keinen Schritt voran. In dieser Nacht erwachte er schweißgebadet in seinem Bett.
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Töpfe und Pfannen: TENCERE TAVA HAVASI (Sound of Pots and Pans) Kardes Türküler
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154
Herr K. und das Wunder, II
„Es ist lächerlich, Briefe zu schreiben,“ sagte Herr K., „denn ein Brief kann kein Wunder bewirken.“
„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.“ sagte er.
„Ein Tropfen kann ein leeres Fass doch nicht zum Überlaufen bringen,“ sagte er.
„Mit einem Schritt kann niemand 10.000 Meilen zurücklegen“ sagte er.
„Wie recht er doch hat,“ sagten die Leute, und begannen Briefe zu schreiben, „denn ein Brief ist wie eine Schwalbe, die davon fliegt, und wir wissen nicht, wohin sie gelangen wird.“
„Wir sind viele,“ sagten sie, „vielleicht können wir eine Änderung bewirken.“
„Wir wissen nicht,“ sagten sie; „welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen wird.“
„Wir wissen noch nicht,“ sagten sie, „wir weit unsere Beine tragen werden.“
„Aber,“ fragten sie, „wer wäre das Wunder, wenn nicht wir?“
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155
Herr K. und das Wunder, III
„Ursprünglich sollte die Bauzeit sieben Jahre betragen, von 2001 bis 2008. Leider konnten wir erst etwas später mit dem Bau beginnen, und die Bauzeit wird sich wohl um einige Jahre verlängern, aber wir haben schon viel erreicht,“ sagte Herr K..
„Ja,“ sagten die Leute, „sie haben schon einen bizarren Fußgängerüberweg über einen verwüsteten Park fast fertig gebaut. Das ist eine beachtliche Leistung. Denn nach vier Jahren ist ja erst die Hälfte der ursprünglich geplanten Bauzeit vorbei. Sie haben uns das Blaue vom Himmel herab versprochen, aber bisher haben sie nur ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt.“
„Natürlich müssen wir noch einige Probleme lösen, und es bleibt noch viel zu tun,“ sagte Herr K..
„Das stimmt,“ sagten die Leute. „mit der Einschränkung der Pressefreiheit sind sie noch nicht richtig vorangekommen, und es ist ihnen auch noch nicht gelungen, das Demonstrationsrecht völlig auszuhebeln. Wenn Sie so weitermachen, wie bisher, dann werden sie vielleicht noch ihr blaues Wunder erleben.“
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156
Herr K. und das Recht, II
„Unsere Richter und unsere Staatsanwälte,“ sagte Herr K. „halten sich strikt an Recht und Gesetz.“
„Ist das der Grund dafür,“ fragten die Leute, „dass sie Mörder laufen lassen und friedliche Bürger der Gewalt beschuldigen?“
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157
Herr K. und die Mehrheit
„Wenn sich das Parlament einer schlechten Sache verschreibt,“ sagten die Leute, „dann ist das schlecht, – vor allem für das Parlament. Denn die Fundamente seiner Legitimität werden unterspült, und es besteht die Gefahr, dass beim nächsten Regen die schlechte Sache und das Parlament, mitsamt seiner Mehrheit, hinweggeschwemmt werden.“
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Herr K. und das Demonstrationsverbot
„Allein, machen sie Dich ein,“ sagte Herr K..
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Herr K. schließt einen Kompromiß
Man muss dazu bereit sein, für die Erhaltung der Umwelt, für die Energiewende und für die Rettung des Klimas einen Preis zu bezahlen.
Deshalb beschloß Herr K., als er die Möglichkeit dazu sah, an die Macht zu kommen, dass er dafür einen kleinen Kompromiß eingehen werde. Es ging dabei lediglich um die Tieferlegung eines Bahnhofs und keinesfalls um ein Atomkraftwerk.
Als sich herausstellte, daß der geplante neue Tiefbahnhof weniger leistungsfähig sein würde, als der bereits vorhandene Kopfbahnhof, musste er mit seinem Verkehrsminister verhandeln, denn die Berechnungen mussten etwas umgestellt werden, um die Frage, ob auf weniger Gleisen mehr Züge fahren könnten, ein bißchen zu relativieren. Diesen kleinen Kompromiß musste der Verkehrsminister schon eingehen. Denn Mehrheiten sind wichtiger als Wahrheiten.
Daß die Züge in den kilometerlangen Tunnel mehr Energie verbrauchen würden, als wenn sie an der Oberfläche fahren, dieser kleine Preis, fand Herr K., muss schon bezahlt werden; denn wer einen Kompromiß eingeht, muss schon konsequent sein. Daß die Sache mit der Energiewende dadurch etwas an Glaubwürdigkeit verliert, das ist schade, aber es bleibt ja immer noch die Rettung der Ochsenmaulfrösche.
Erst als er erfuhr, dass die Rettung des Klimas zwingend den Bau einer Hochspannungstrasse durch das Gebiet der letzten Ochsenmaulfrösche erforderte, ging ihm auf, dass er nochmals einen Kompromiß würde eingehen müssen.
Denn ein Kompromiß zieht den nächsten nach sich. Es gab nämlich widerspenstige Leute, die gegen die Vernichtung der Ochsenmaulfrösche demonstrieren wollten. Da würde doch wohl nichts anderes übrig bleiben, als das Demonstrationsrecht einzuschränken. Denn die Rettung des Klimas ist ein hohes Gut. Dafür kann man auf Frösche, Unken und Demonstranten keine Rücksicht nehmen. Manchmal muß man eben kleine Kompromisse eingehen.
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Herr K. und der lange Marsch
„Wir haben uns aufgemacht,“ sagte Herr K., „auf den langen Marsch durch die Institutionen.“
„Das ist ihnen anscheinend nicht gut bekommen,“ sagten die Leute, „ist es nicht schade, dass sie auf dem weiten Weg durch die Institutionen alles aufgegeben haben, wofür zu kämpfen, sich lohnen würde?“
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Herr K. und die Zwischenfälle
„Bisher,“ sagte Herr K., „ist es bei dem Bau des geplanten Stuttgarter Tiefbahnhofs noch zu keinen gravierenden Zwischenfällen gekommen.“
„Immerhin ist ein Ministerpräsident abgewählt worden,“ sagten die Leute.
„Das ist gut so,“ sagte Herr K., „das ist kein gravierender Zwischenfall.“
„Leute sind von Wasserwerfern fast blind geschossen worden,“ sagten die Leute.
„Wer dafür die Verantwortung trägt,“ sagte Herr K., „das untersuchen wir noch.“
„Eine Frau ist von einem herabfallenden Steinbrocken fast erschlagen worden,“ sagten die Leute.
„Gut, dass dabei nicht mehr passiert ist,“ sagte Herr K., „für die Sicherheit sind die Fachleute zuständig.“
„Mit den eigentlichen Bauarbeiten ist noch gar nicht begonnen worden,“ sagten die Leute, „sollte der Stuttgarter Schiefbahnhof tatsächlich gebaut werden, dann wird es unweigerlich zu gravierenden Unfällen kommen, sei es durch unabsichtlich wegrollende Züge, sei es durch ganz gewöhnliche Brände in den Todestunneln. Wir werden dann keine Ruhe geben, ehe nicht die verantwortlichen Politiker und die fahrlässigen Ingenieure persönlich zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Tunnelpaten und Mordgesellen möchten wir hinter Gittern sehen.“
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Herr K. und die Medizin
Nach vielen Jahren traf Herr K. zufällig bei einer Veranstaltung einen alten Herrn, der sich als sein früherer Mitschüler zu erkennen gab. Ja, die beiden waren in der Schule sogar eine Zeit lang Nebensitzer gewesen. In dem Gespräch wurden sich die beiden Herren rasch immer vertrauter und sie wurden gleichsam immer jünger. Deshalb beschlossen sie, in einer nahe gelegenen Gartenwirtschaft ein Glas Bier zu trinken.
Der Bekannte, der nie ein guter Schüler gewesen war, erzählte, dass er sich trotzdem seinen Traum verwirklicht hatte und Arzt geworden war.
Ach wie er ihn beneiden würde, sagte Herr K.. Es müsse doch ein sehr schöner Beruf sein, Leuten zu helfen und Kranke zu heilen.
Ja, sagte sein Mitschüler, daran müsse wohl etwas Wahres sein. Andererseits sei es mit der Medizin ein bisschen wie mit der Politik.
Wie er denn dies verstehen solle, fragte Herr K. empört.
Nun, sagte sein Mitschüler, Politiker kommen bekanntlich nicht in ihre Ämter, weil sie die Wahrheit sagen, sondern weil sie Mehrheiten erreichen; und Ärzte verdienen nicht an der Heilung von Kranken, sondern sie leben von den Abrechnungen, die sie bei den Krankenkassen einreichen.
Ein guter Politiker ist folglich jemand, der es versteht, Mehrheiten zu organisieren; und ein guter Arzt ist jemand, der gut Rechnungen schreiben kann.
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Herr K. und der ungeduldige Besucher
Ein Besucher kam von weit her angereist, denn er hatte gehört, dass in Stuttgart seit vier Jahren viele kilometerlange Tunnels gebaut werden. Er habe eine Frage, die vielleicht unbescheiden sei, sagte er, ob er wohl schon einen dieser vielen Tunnels, die hier gebaut werden würden, besichtigen dürfe?
„Ach,“ sagte Herr K. „wir haben noch nicht begonnen diese Tunnels zu bauen, und wir benötigen diese vielleicht auch gar nicht mehr. Denn wir machen eine fortschrittliche Politik und erreichen unsere Ziele auch so.“
„Welche Ziele wurden denn erreicht, wenn noch gar nicht gebaut wurde?“ fragte der Besucher erstaunt.
„Nun,“ sagte Herr K., „sehen Sie, wir fällen Bäume auch ohne Wasserwerfer; wir kriminalisieren Demonstranten, ohne den Einsatz übermäßiger Gewalt; und die Geldmittel fließen in die richtigen Taschen, auch ohne dass es mit dem Bau vorangehen würde.“
Weihnachten 2013
I.
Sie ist erstaunlich aktuell und wirkmächtig, die alte Geschichte, die uns überliefert und immer wieder neu erzählt worden ist. Da waren kluge Leute, die sich auf den Weg gemacht haben, weil sie wissen wollten, was Sache ist.
Wissen wir, ob es diese Leute gegeben hat?
Zumindest können wir erahnen, was sie vorgefunden hätten, wenn sie sich auf den Weg gemacht hätten: Protz und Prunk und Pracht auf der einen, bitterste Not und Armut auf der anderen Seite.
Und heute? An Gigantomanie und Hybris auf der Seite der Macht fehlt es jedenfalls nicht.
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164
Herr K. und die spitzfindige Frage
„Wenn das Quorum die Zahl der Stimmberechtigten ist, die sich an einer Abstimmung beteiligen müssen, damit diese gültig ist,“ wurde Herr K. gefragt, „ist denn dann eine Abstimmung, bei der das Quorum verfehlt wurde, nicht ungültig?“
„Aber nein,“ antwortete Herr K. „was für eine spitzfindige Frage! Sehen Sie,“ erklärte er, „das muss man richtig verstehen, bei der Politik des Zuhörens beispielsweise, entscheiden natürlich wir. Aber zuhören darf jedermann, das ist doch keine Frage der Mehrheit. Bei der Politik des Zuhörens, kommt es nämlich auf die Inhalte an.
Ganz anders bei einer Abstimmung, da kommt es eben gerade nicht auf den Inhalt an. Deshalb ist es völlig unerheblich, wer abgestimmt hat, worüber abgestimmt wurde, oder wie viele abgestimmt haben. Was da nachher an Kosten entsteht; oder ob die Leute überhaupt verstanden haben, worüber abgestimmt wurde; oder ob nachher etwas gemacht werden soll, über das gar nicht abgestimmt wurde; das alles spielt erst recht keine Rolle. Bitte glauben Sie mir das doch endlich. Bei einer Abstimmung kommt es nicht auf die Wahrheiten, sondern ausschließlich auf die Mehrheiten an. Und deshalb ist die Frage nach dem verfehlten Quorum auch so spitzfindig.“
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165
Herr K. und der harte Kern
(Eine Weihnachtsgeschichte)
„Es gibt immer Gegner, die sich mit einer einmal getroffenen Entscheidung nicht abfinden möchten,“ sagte Herr K. „es handelt sich dabei um eine kleine Zahl von Fanatikern, gleichsam ein harter Kern, der Stress und Verdruss verursacht.“
„Könnte es sein,“ fragten die Leute, „dass er das Wesen des Kerns nicht richtig verstanden hat? Manche Dinge lassen sich nicht so einfach vereinnahmen. Es ist wie mit dem Kern einer Frucht, den man nicht essen kann, weil er zu hart ist. Aber aus dem harten Kern erwächst neues Leben. Deshalb sollte niemand den Kern geringschätzen.“
II.
Das Neue findet sich an den Rändern, nicht in den Zentren der Macht. Nicht in Rom und nicht an dem Hof des mächtigen Herodes.
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166
Herr K. und die Fluchten
„Das Reisen ist einfacher geworden,“ sagte Herr K..
„Aber es ist schwieriger geworden,“ sagten die Leute, „der Überwachung zu entkommen.“
„Und wer kein Geld hat,“ fügten andere hinzu, „dem wird auch die Flucht über Grenzen verwehrt.“
Weihnachten 2013
III.
Ein Entkommen ist nicht möglich.
Es feht an allem: an Engeln und an Eseln.
Statt dessen verfügen wir über todbringende Drohnen, mit denen sich jeder Punkt der Erde erreichen läßt.
Die neuen Machthaber schwingen sich auf als Herren über Leben und Tod.
Es wird nicht einfach werden, der wirtschaftlichen und politischen Vernunft
und dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen.
In dieser dunklen Nacht ist das neue Jerusalem noch weit entfernt.
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167
Herr K. und das Mantra
In einem Gespräch über indische Philosophie erwähnte Herr K. die Verwendung von Mantras.
„Entschuldigung, darf ich fragen, was ein Mantra ist?“ fragte einer der Gesprächsteilnehmer.
„Nun ja,“ sagte Herr K. „ein Mantra, das ist ein heiliges Wort, ein Sinnspruch, der immer wieder und immer wieder wiederholt werden muss.“
„Und wozu wird das gemacht,“ fragte der Gesprächspartner nach.
„Das ist nicht so einfach zu beantworten,“ sagte Herr K. „es hat eine religiöse Funktion, es dient der Meditation, es setzt spirituelle Energien frei…“
„Ah, jetzt verstehe ich,“ sagte sein Gesprächspartner, „ein Mantra, das ist so etwas wie beispielsweise eine längst überholte Volksabstimmung, die immer wieder und immer wieder als Begründung für einen beliebigen Unsinn vorgebracht werden muss.“
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168
Herr K. und der Vorschlag
In einer Diskussion über unbequeme, protestierende Mitbürger kam die Idee auf: „Wir sollten ihnen vorschlagen, auf Demonstrationen ganz zu verzichten!“
„Aber auf diesen Vorschlag werden sie doch nicht eingehen,“ sagte Herr K..
„Aber nein,“ sagten die anderen, „natürlich nicht, es genügt, wenn sie sich darüber zerstreiten.“
„…Auch bei Böblingen war der Truchsess unterlegen: 15.000 Bauern standen seinen
7.000 Soldaten gegenüber. Den Verhandlungserfolg von Weingarten im Rücken, stellte der Truchsess die Bedingungen: Freier Abzug bei bedingungsloser Kapitulation. Dialog zwischen dem Truchsess und Frowen von Hutten, dem Führer seiner Reiterei: Hutten: Das nehmen sie nicht an. Truchsess: Natürlich nicht. Aber zerstreiten können sie sich drüber – mehr noch als sie`s schon sind. …“
http://www.s-oe-s.de/wp-content/uploads/content/2010/10/Stadt-Plan-Extra-Friedlich-Gegen-S21-A4.pdf
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Herr K. und die Protestbewegung
Mit großem Interesse verfolgte Herr K. die Proteste in einem fernen asiatischen Land.
„Diese Proteste sind berechtigt,“ sagte er. „Die protestierenden Bürger setzen sich gegen Korruption und Gewaltherrschaft und für eine demokratische Erneuerung ein.“
„Ja, das stimmt,“ sagten einige, „aber leider haben wir es schon erlebt, dass nach massiven Protesten der Bevölkerung gewaltsame Machthaber hinweggespült und durch noch schlimmere Potentaten ersetzt worden sind.“
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Herr K. und die Neutralität
„Die Kirchen müssen sich heraushalten,“ sagte Herr K.. „Aufgabe der Kirchen ist es, das Reich Gottes zu verkünden. Die Kirchen müssen den Leuten den Weg zum ewigen Leben weisen; aus den weltlichen Dingen sollten sie sich heraushalten.“
„Das haben sie schon einmal versucht,“ sagten einige. „Die Kirchen hatten sich damals auf ihre Kernaufgaben konzentriert und Waffen gesegnet. – Natürlich haben nicht alle Pastoren Waffen gesegnet,“ sagten sie. „Sie haben geschwiegen, als es den Minderheiten an den Kragen ging. – Natürlich haben nicht alle den Mund gehalten. – Nach dem großen Krieg haben sie umgedacht und die Stuttgarter Schulderklärung verfasst. Leider haben das manche viel zu rasch wieder vergessen. Gerade in Stuttgart scheinen viele an einer merkwürdigen Form von Gedächtnisverlust zu leiden. Jetzt, wo ein gigantischer Betrug die Gesellschaft zu spalten droht, ausgerechnet jetzt, meinen sie, die Kirche müsse dem neutral gegenüber stehen.“
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Herr K. und die Listen
Neulich, beim Durchstöbern eines Bücherregals, erzählte Herr K., sei ihm ein altes Buch mit amüsanten Geschichten wieder in die Hände gefallen. Dieses Buch handle von den
36 Kriegslisten, die angeblich im fernen China jedem Kind vertraut sein sollen.
Zufällig war bei dem Gespräch ein ausländischer Journalist dabei, der ganz erstaunt fragte, ob diese Geschichten nicht auch hier in der Gegend gut bekannt seien. Denn er habe gedacht, sagte der Journalist, er wäre vor einiger Zeit Zeuge einer solchen gut umgesetzten List geworden.
Um welche Kriegslist es sich denn dabei gehandelt haben solle, fragte Herr K. etwas irritiert.
Nun, entgegnete der ausländische Gast, er habe gedacht, es habe sich um die List:
„Unter falscher Flagge Segeln“ gehandelt. Anders habe er sich gar nicht erklären können, wieso vor der letzten Landtagswahl auf allen möglichen Demonstrationen so viele grüne und rote Fahnen zu sehen waren, von denen aber die meisten nach der Wahl urplötzlich wieder verschwunden gewesen seien.
http://cappellarebella.mtmedia.org/von-den-hasenberger-kriegslisten/
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Herr K. und das Fabeltier
Bei dem Besuch in einem Tiergarten beobachtete Herr K. einen Maler, der seine Staffelei vor einem Tigerkäfig aufgestellt hatte. Das Tier, das allmählich auf der Leinwand Gestalt annahm, hatte aber wenig Ähnlichkeit mit dem großen, beeindruckenden Zoo-Tiger. Deshalb befragte Herr K. den Künstler nach seiner Arbeit.
„Nun,“ sagte der Künstler, „ich arbeite an einem Sinnbild. Der Tiger ist nur eine Vorlage, die mir hilft, das, was ich darstellen möchte, genauer zu treffen. Wenn das Bild fertig ist, dann wird jeder Betrachter hoffentlich leicht erkennen, dass es sich um ein Tier mit einem Drachenkopf, einem großen Maul und einem Rattenschwanz handelt.“
„Und was soll damit gemeint sein?“ fragte Herr K..
„Nun,“ sagte der Maler, „mit dem Kopf ist natürlich der Anfang und mit dem Schwanz das Ende gemeint. So, wie bei einem modernen Berufspolitiker, der mit der Faust auf den Tisch haut und vollmundig große Forderungen erhebt, um sich dann heimlich und unbemerkt aus dem Staub zu machen.“
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Die sieben Künste oder Herr K. und das Symposion
Herr K. hatte einige Gäste zu einem Gastmahl eingeladen, bei dem allerdings die gesellige Unterhaltung ganz im Vordergrund stand.
Früher hätte er geglaubt, dass die Musik die höchste aller Künste sei, sagte einer der Gäste, an dieser Meinung würde er in gewisser Weise festhalten, und mit einem höflichen Blick auf den Gastgeber fügte er hinzu, auch wenn er heute zugeben müsse, dass die Kochkunst noch mehr Genuss bereiten könne, als die Musik und alle anderen Künste zusammen.
Dieser Erkenntnisfortschritt, nämlich dass er die Überlegenheit weltlicher Genüsse erkannt habe, meinte ein anderer Gesprächsteilnehmer, bringe ihn wieder den Quellen näher. Schließlich hätten auch die alten Griechen den menschlichen Körper hoch geschätzt und den olympischen Disziplinen des Sports den höchsten Wert zugemessen.
Na ja, na ja, entgegnete einer, das Glas zum Toast erhoben, man möge bitte nicht vergessen, dass die Griechen auch Dionysos, den Gott des Weines, verehrt hätten, und deshalb seien sie ja diejenigen gewesen, die mit der Philosophie die höchste aller Künste hervorgebracht hätten.
Das gelte vielleicht für Europa, widersprach ein weitgereister Schwabe, in vielen Ländern Asiens sei dies aber anders, denn dort würde keine Kunst so hoch geschätzt, wie die Kalligraphie, die Kunst des Schönschreibens, die ja in gewisser Weise allen anderen Künsten zugrunde liege und Anmut, Schönheit, Wahrheit, Dynamik und Energie wie keine der anderen Künste zum Ausdruck bringen könne.
Aber die Kalligraphie, beeilte sich der anwesende Bildhauer zu sagen, die Schönschreiberei, ist ja nur ein Teilbereich der Malerei. Der Vorzug gebühre zweifellos den gestaltenden Künsten, der Malerei, vor allem aber der Bildhauerei und der Architektur.
Nun ja, für die Architektur habe das vielleicht früher gestimmt, ergänzte der Intendant des örtlichen Theaters. Aber der Niedergang dieser Kunst sei ja gerade in dieser Stadt, in der sie dank der Großzügigkeit des Gastgebers gerade weilen würden, der Niedergang der Architektur sei ja unübersehbar, und deshalb würde das Theater am dringendsten benötigt, denn wie keine andere Kunst sei das Theater doch in der Lage, die Gesellschaft günstig zu beeinflussen und voranzubringen.
Herr K. schmunzelte, ehe er etwas zu dieser gelehrten Diskussion beitragen wollte.
„Ja, das stimmt,“ sagte er, „Theaterspielen ist eine ganz große Kunst.“
Er führte aus, dass er überhaupt nichts gegen Spiele und Rollenspiele einzuwenden habe, ganz im Gegenteil. Allerdings sei er der Meinung, die größte Kunst bestehe darin, im Zweifelsfall selbst die Spielregeln zu bestimmen, oder doch zumindest den Schiedsrichter gut auszuwählen.
„Denn wer den Schiedsrichter, den Moderator oder den Schlichter bestimmt, der gehört immer zu den Gewinnern.“
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174
Herr K. und die Farbe Blau
„Manche Leute denken, es sei einfach, den Weihnachtsmann zu spielen, aber das stimmt nicht,“ sagte Herr K. „die Leute haben leider viel zu große Erwartungen, und es ist nicht immer leicht, diesen gerecht zu werden.“
„Oh,“ entgegnete sein Freund, „da hast Du das politische Geschäft aber noch nicht richtig verstanden. Es kommt nicht darauf an, die überzogenen Erwartungen der Leute zu erfüllen, sondern es kommt darauf an, große Versprechungen zu machen.“
„Wie soll ich das jetzt wieder verstehen,“ fragte Herr K..
„Nun,“ entgegnete sein Freund, „wenn man Zusagen macht, dann darf man nicht zu bescheiden sein, man muss mit großen Schritten voran gehen, und man muss an die Phantasie der Leute appellieren. Das Beste ist es meist, sozusagen das Blaue vom Himmel herunter zu versprechen.“
„Aber die Leute merken doch, dass es nicht möglich ist, solche Versprechungen einzuhalten,“ sagte Herr K. empört.
„Das ist das kleinste Problem,“ antwortete sein Freund, „eine Ausrede ist allemal schnell zur Hand. Zur Not kann man einfach sagen: `da habe ich den Mund zu voll genommen.`“
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175
Herr K. und die Abstimmung
„Es ist nicht einfach, eine Niederlage in einen Sieg zu verwandeln,“ sagte Herr K.
„Das kommt darauf an, wer die Deutungshoheit hat,“ sagte einer seiner Freunde.
„Das klingt gut, aber wie soll mir das weiterhelfen?“ fragte Herr K.
„Ich will Dir ein Beispiel geben,“ sagte sein Freund „nehmen wir an, wir hätten ein schönes Grundstück und wollten eine große Villa darauf bauen, aber die Nachbarn wären nicht damit einverstanden. Was sollten wir tun? Sollten wir die Nachbarn darüber abstimmen lassen?“
„Aber nein,“ sagte Herr K., „sie würden doch niemals zustimmen.“
„Aber doch!“ entgegnete der Freund. „Wir müssten das nur richtig machen: Wir fragen, ´seid ihr damit einverstanden, dass wir ein kleines Gartenhäuschen bauen?´ Was werden die Nachbarn tun?“
„Vielleicht sagen sie ´ja´“, antwortete Herr K. „es kann aber auch sein, dass sie ´nein´ sagen.“
„Und schon haben wir gewonnen,“ sagte der Freund, „wenn sie mit ´ja´ stimmen, dann bauen wir unsere Villa und sagen den Nachbarn: ´Aber ihr habt doch zugestimmt, dass wir bauen dürfen.` – Und wenn sie mit ´nein´ stimmen, dann sagen wir: ´Ihr seid aber schlechte Demokraten, ihr habt doch abgestimmt. Das Gartenhaus habt ihr abgelehnt, folglich müsst ihr jetzt die Villa akzeptieren.´“
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176
Herr K. und das Kartenspiel
Ob er gerne Kartenspiele spiele, wurde Herr K. gefragt.
„Aber nein,“ sagte er, „mit derlei Kindereien gebe ich mich nicht ab.“
Komisch, entgegnete der Herr, der die Frage gestellt hatte, man habe ihm erzählt, dass er großzügig Leuten den Schwarzen Peter zugeschoben habe.
„Aber das ist ja lächerlich,“ sagte Herr K..
Das habe er auch gedacht, sagte sein Gesprächspartner, deshalb könne er gar nicht verstehen, warum die Leute, die ihm das erzählt hätten, so empört gewesen seien.
Es müsse wohl auch von einem neumodischen Spiel die Rede gewesen sein, denn als er selbst in seiner Kindheit noch Schwarzer Peter gespielt hätte, sei niemals von geplanten Bahnhöfen, von merkwürdigen Abstimmungen und von schlechten Demokraten die Rede gewesen. In der Zeit, aus der er das Schwarzer Peter Spiel kenne, sagte er, sei das ein völlig harmloses Kinderspiel gewesen.
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177
Herr K. und die Repression
„Wenn aufmüpfige Bürger lästig werden,“ sagte Herr K., „dann ist es das Beste,
wenn man sie den starken Arm des Rechts spüren lässt.“
“Aber die Bürger haben doch auch selbst viele Rechte,“ sagten die Leute.
„Genau,“ antwortete Herr K., „und diese Rechte müssen eingeschränkt werden.
Ein guter Jurist wird immer Mittel und Wege finden, die Rechte durch die selektive Anwendung des Rechts zu bekämpfen.“
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178
Herr K. und die Kirche im Dorf
Als eine Diskussion aufflammte und heftige Kritik laut wurde,
sagte Herr K.: „Bitte lassen Sie doch die Kirche im Dorf.“
„Das würden wir gerne tun,“ sagten die Leute, „aber die Kirche ist nicht mehr an ihrem Ort. Wo sie die Lüge beim Namen nennen müßte, hat sie gleichsam ihren Platz verlassen und sich in den Höhlen der Neutralität verkrochen. Wer aber gegenüber der Lüge neutral bleiben möchte, der macht sich zum Komplizen der Lüge.“
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179
Herr K. und der rechte Rand
Als ein exponierter Redner aus einer Protestbewegung bei einer etwas merkwürdigen Veranstaltung aufgetreten war, worüber sich viele Leute etwas gewundert hatten, sagte Herr K., dass er froh sei, dass bei den Demonstrationen in seiner Stadt bisher noch keine Schlägertrupps aufgetaucht seien.
„Ja, das stimmt,“ sagten die Leute, „außer Polizeitruppen in voller Montur, sind bisher bei den Protestveranstaltungen in unserer Stadt glücklicher Weise noch keine Schlägertrupps aufgetaucht.“
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180
Herr K. und die Versetzungen
„Es ist schon ziemlich merkwürdig,“ sagte Herr K., „dass in jenem Land
fähige Polizisten und leitende Staatsanwälte versetzt wurden,
nur um die Aufklärung von Straftaten zu verhindern.“
„Ja, das ist wirklich merkwürdig,“ sagten die Leute, „denn in unserem Land
wurden, nur um die Aufklärung von Straftaten zu verhindern,
unfähige Polizisten und leitende Staatsanwälte nicht versetzt.“
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181
Herr K. und der Beweis
Zu sagen, dass es Amerika geben würde, das wäre ungefähr so, wie wenn einer behaupten wollte, die Erde wäre eine Kugel.
„Manche Irrtümer und Vorurteile halten sich ziemlich lange,“ sagte Herr K., „jedes Kind kann beispielsweise in den Geschichten von Peter Bichsel leicht nachlesen, dass es Amerika nicht gibt; trotzdem halten sich immer noch viele für Amerikaner.“
„Nein,“ sagten die Leute, „Amerika kann es natürlich nicht geben. Manche Dinge sind einfach völlig unmöglich. Damit muss man leben. Sonst käme alles aus dem Lot.“
„Aber wir haben Bücher über Amerika gelesen,“ behaupteten einige.
Die Leute fingen zu lachen an, und sagten: „Bücher, Bücher! Papier ist geduldig!“
„Aber die Autoren wußten über Amerika sehr gut Bescheid,“ entgegneten die anderen, „sie haben das Land und die Leute ganz genau beschrieben.“
„Berge und Flüsse gibt es überall,“ sagten die Leute, „die Küste und das Meer, Städte und das Land, Pflanzen und Tiere, gibt es überall. Wenn ein Schriftsteller ein Land beschreibt, das ist doch kein Beweis, dass es dieses Land auch tatsächlich gibt.“
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182
Herr K. und das Sauerwasser
In einem Land, weit im Osten Asiens, gab es in einer Stadt eine Mineralwasserquelle. Das Wasser aus dieser Quelle konnte getrunken werden, es schmeckte angenehm, und es wurden ihm heilende Kräfte zugeschrieben. So viel stand davon zur Verfügung, dass man ein Schwimmbad damit füllen und darin baden konnte.
Schon in der Zeit, als dort noch das Fahrrad das vorherrschende Verkehrsmittel war, hatte man damit begonnen, tiefe Tunnels zu graben. Später verschwanden viele Bäume aus dem Stadtbild, und die Fahrräder verloren sich in dem Gewirr eines wachsenden Autoverkehrs. Die schönen alten Hofhäuser wurden durch moderne Hochhäuser ersetzt, und der Fortschritt bahnte sich unaufhaltsam seinen Weg. Die meisten Leute waren darüber nicht unglücklich. Nur dass das Mineralwasser verschwunden war, fanden einige Leute, die sich an die früheren Zeiten noch erinnern konnten, ein bisschen schade.
„Gut, dass so etwas bei uns nicht passieren kann,“ sagte Herr K., „das ist zum Glück völlig unmöglich, denn eines ist sicher, die Rente.“ – „Oh, äh, Verzeihung, ich meinte natürlich das Mineralwasser.“
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183
Herr K. und der Einsturz
„Das berühmte Archiv der Stadt Köln ist bei einem Unfall wie ein Kartenhaus zusammengestürzt, viele wertvolle Dokumente sind dabei verloren gegangen, und leider waren auch Todesopfer zu beklagen,“ berichtete Herr K.
„Das ist ja schrecklich,“ sagten die Leute, und sie fragten sich, „wie konnte das denn geschehen?“
„Nun,“ antwortete Herr K., „eines der großen Bau-Unternehmen hatte leider gegen die Vorschriften verstoßen und viel zu viel Grundwasser abgepumpt.“
„Das geht natürlich nicht!“ sagten die Leute.
„Wenn aber nun in unserer Stadt eine große Baustelle eingerichtet wird,“ fragten sie, „kann es da nicht auch zu solchen Unfällen kommen?“
„Aber nein,“ sagte Herr K. „das ist ganz und gar unmöglich! Da müssen Sie sich nun wirklich keine Sorgen machen! Um einen Unfall zu verursachen, müsste ja wiederum eine Baufirma gegen Vorschriften verstoßen; und das geht bei uns schon deshalb nicht, weil hier bei uns überhaupt keine einschlägigen Vorschriften vorliegen.“
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184
Herr K. löst das Brandschutzproblem
Als ein Feuer in einer chinesischen Stadt viele wertvolle alte Häuser zerstört hatte, machten sich viele Leute Gedanken darüber, wie solche Katastrophen in Zukunft vermieden werden könnten.
„Wir müssen uns auf solche Gefahren vorbereiten,“ sagten sie, „wir müssen die Zufahrtsstraßen für die Feuerwehren ausbauen und Fluchtwege für die betroffenen Menschen schaffen.“
„Das ist der falsche Weg!“ sagte Herr K., „denn zu dem Großbrand ist es gekommen, weil die Feuerwehr zu spät eingetroffen ist. Dies hätte leicht vermieden werden können! Deshalb müssen wir in Zukunft die Feuerwehrzufahrten versperren und dafür sorgen, dass die Feuerwehrautos überhaupt nicht mehr zu dem Brandort durchkommen können. Nur so können wir sicherstellen, dass sie dort nicht verspätet eintreffen werden.“
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185
Herr K. reist nach Energetien
Als das Flugzeug mitten in der Nacht auf dem Flughafen von Energetia, der Hauptstadt von Energetien, landete, fiel Herrn K. vor allem auf, dass alles in ein blendend weißes Licht getaucht war. Und als er genauer hinschaute, entdeckte er überall hell beleuchtete Tafeln mit Inschriften wie SAVE ENERGY oder ENERGIE SPAREN oder auch DIE ENERGIEWENDE VORANTREIBEN.
Die Stewardessen verabschiedeten die Passagiere beim Aussteigen mit einem freundlichen „Haben Sie eine sparsamen Tag!“ oder „Die Energiewende nicht vergessen!“ und sie lächelten jedem der Fluggäste freundlich zu.
In der Abfertigungshalle wartete schon das Empfangskomitee, das ihn sehr freundlich begrüßte, ehe er mit einem schicken großen Wagen in das Hotel gebracht wurde. Das Fahrzeug war sehr geräumig und sehr bequem, nur ein bisschen zu kühl, wahrscheinlich hatte der Fahrer die Klimaanlage etwas zu weit aufgedreht.
Etwas überrascht war Herr K. indessen, dass er auf dem Weg zum Hotel viele Baustellen sah, und es überraschte ihn vor allem, dass viele der riesigen neuen Gebäude wie große Kraftwerke aussahen. Und wohin er auch blickte, sah er ein großes Gewirr von großen und hohen Hochspannungsleitungen.
Schon kurz nach der Ankunft im Hotel wurde Herr K. zu einer Stadtrundfahrt eingeladen, auf dem ihm die interessante Geschichte der Stadt und des Landes erklärt wurde, welche die Geschichte eines unaufhörlichen und rasch fortschreitenden Fortschritts war. Da er wiederholt dazu aufgefordert wurde, alle Fragen zu stellen, die er gerne fragen möchte, fragte er, ob er denn richtig vermutet habe, dass in der schönen Stadt Energetia viele große neue Kraftwerke gebaut werden würden. Über diese Frage freuten sich seine Begleiter offensichtlich sehr, und sie erklärten ihm, dass die neuen Kraftwerke viel effizienter seien, als die veralteten kleinen Kraftwerke, und dass der Bau dieser neuen Großkraftwerke einen großen Schritt nach vorn auf dem Weg zur Energiewende bedeuten würde.
Da müsse er nochmals nachfragen, sagte Herr K., er habe gedacht, dass eine Energiewende dazu führen müsse, dass weniger Kraftwerke benötigt werden würden.
Als sie diese Frage hörten, fingen seine Gastgeber belustigt zu lachen an. Nur ein eingefleischter Württemberger könne eine solche Frage stellen, spotteten sie. Nein, nein, die Energiewende bedeute ja gerade, dass man viel mehr Kraftwerke bauen könne. Denn diese seien ja, wie sie bereits erklärt hätten, viel effektiver als die alten Kraftwerke. Mit jedem der neu gebauten Kraftwerke könne man also mehr Energie einsparen, und je mehr Kraftwerke gebaut werden würden, desto mehr Energie werde folglich eingespart.
Ob er nicht bemerkt hätte, fragten sie, dass der Flughafen mitten in der Nacht in gleißendes Licht getaucht sei? Ob er nicht bemerkt hätte, dass alle Räume höchst komfortable klimatisiert seien? Nein, sie würden so viel Energie einsparen, dass sie sich diesen Luxus leicht leisten könnten. Und in einigen Jahren würden die Züge sogar unterirdisch fahren. Das Fahren in den Tunnels würde zwar etwas mehr Energie verbrauchen, sagten sie stolz, aber die Energiesparwende würde eben unumkehrbar einen unaufhörlichen Fortschritt mit sich bringen.
Da Herr K. etwas fröstelte, fragte er, ob es vielleicht möglich wäre, die Klimaanlage auf eine etwas niedrigere Leistungsstufe einzustellen.
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186
Herr K. und die unglaubliche Geschichte
Als Lehrer war Herr K. bei seinen Schülern sehr beliebt, weil er so lustige Geschichten erzählen konnte. Wenn er in das Klassenzimmer kam, schauten die Schüler erwartungsvoll auf und warteten interessiert und gespannt auf den Unterricht.
„Heute will ich Euch von meiner Reise nach Demokratien erzählen,“ sagte Herr K. und die Kinder riefen: „Au fein“ und „Oh, wie schön.“
„Ihr werdet es vielleicht nicht glauben,“ begann Herr K. seine Erzählung, „aber in diesem fernen Land gibt es Radios und all diese Dinge zum Musikhören, die ihr kennt, und trotzdem treffen sich die Leute manchmal und musizieren miteinander, ganz ohne elektrische und elektronische Geräte.“
„Das kann doch gar nicht sein,“ sagten die Kinder und lachten.
„Doch, doch,“ sagte Herr K., „und sogar die Kinder singen manchmal miteinander. Wenn sich dort Kinder treffen, dann lassen sie oft ihre Computer zuhause und spielen einfach so gemeinsam auf der Straße.“
„Das glauben wir nicht!“ sagten die Schüler.
„Das kann ich gut verstehen,“ antwortete Herr K., „aber in diesem fremden Land ist manches anders, als ihr es von zuhause kennt. Ich möchte Euch ein Beispiel geben: Die Zeitungen sind dort nicht nur für Werbeanzeigen da, und die Fernsehsendungen werden nicht von Werbeblocks unterbrochen. Es gibt dort sogar Leute, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, über wichtige Ereignisse und über wichtige Erkenntnisse möglichst wahrheitsgemäß zu berichten.“
„Das kann doch nicht sein!“ riefen die Schüler. Und einer der nicht richtig aufgepasst hatte, fragte: „Wo? Wo soll es das geben?“
Herr K. sagte: „Es gibt dort noch mehr Merkwürdigkeiten. In diesem Land gibt es Richter, die nicht bestechlich sind, und Politiker, die sich manchmal bemühen, die Wahrheit zu sagen.“
Solche und ähnliche verrückte Dinge erzählte Herr K., und die Schüler hörten aufmerksam und belustigt zu.
Als die Eltern ihre Kinder von der Schule abholten, berichteten die Kinder ganz begeistert, dass es heute in der Klasse wieder sehr lustig gewesen sei:
„Er hat wieder Quatschgeschichten erzählt,“ lachten sie, „lauter Dinge die beim besten Willen überhaupt nicht wahr sein können.“
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187
Herr K. und der Beweis, II
„Die Bauindustrie hat sehr große Fortschritte gemacht,“ sagte Herr K., „es ist unglaublich, wie sehr sich beispielsweise der Bau von Eisenbahntunnels beschleunigt hat.“
„Das ist aber interessant,“ sagten die Leute, „obwohl es den Anschein hat, dass sich in unserer Stadt bei dem Bau von Tunnels ständig Verzögerungen ergeben.“
„Das stimmt nicht,“ sagte Herr K., „bei uns werden die Tunnels in der Hälfte der ursprünglich geplanten Bauzeit gebaut.“
„Wie soll das gehen?“ fragten die Leute, „von dem großen Projekt, das derzeit durchgeführt wird, sind doch bisher überhaupt keine Tunnels fertiggestellt worden.“
„Nein, nein,“ sagte Herr K., „natürlich sind noch keine Tunnels fertiggestellt worden. Mit dem Bau der Tunnels ist ja noch gar nicht begonnen worden. Mehr als die Hälfte der Bauzeit ist aber bereits vorbei. Das ist der Beweis – und es ist ein ganz klarer Beweis – dass die Tunnels in weniger als der Hälfte der Bauzeit fertig gestellt worden sein werden.“
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188
Herr K. und die Zwischenlandung
Auf einer längeren Flugreise war Herr K. eingenickt. Bei einer Zwischenlandung mussten die Passagiere kurz das Flugzeug verlassen, aber Herr K. hatte nicht darauf geachtet, in welcher Stadt sie sich gerade befanden. Der Flughafen war mit vielen bunten Fahnen geschmückt, die ihn an irgend etwas erinnerten: ein großer blauer Kreis war zu erkennen, umgeben von einem weißen, fast quadratischen Viereck, vor einem grünen Hintergrund.
„Was bedeuten denn diese Fahnen?“ fragte er einige Mitreisende, die mit ihm auf den Weiterflug warteten.
„Was diese Fahnen bedeuten?“ antworteten diese, „das sind stilisierte Waschmaschinen. Wir sind hier ja in Cleanland, in Sauberland, und die Leute halten sich so viel auf ihre Reinlichkeit zugute, dass sie die Waschmaschine zu ihrem offiziellen Wahrzeichen gemacht haben.“
„Allerdings scheint es hier trotz der peinlichsten Hygiene auch viele Probleme zu geben,“ ergänzte jemand, „ich habe gelesen, dass anscheinend nicht alles in diesem Land zum Besten und zum Saubersten steht. Es soll in Cleanland sogar recht häufig vorkommen, dass beispielsweise in ganzen Stadtteilen die Klobürsten ausverkauft sind.“
„Oh, das interessiert mich,“ sagte Herr K., „und wie kommt es zu diesen unangenehmen Problemen?“
„Nun ja,“ sagte ein vornehmer Herr, der zu erkennen gab, dass er sich mit Cleanland bestens auskannte, „den Leuten hier macht eine wachsende Ungleichheit schwer zu schaffen.“
„Aber was hat die Ungleichheit mit Klobürsten zu tun?“ fragte Herr K..
„Das ist eine sehr schwierige Frage, die noch nicht abschließend geklärt ist,“ sagte der freundlich lächelnde Landeskenner. „Früher hat es diese Probleme nämlich nicht gegeben. Damals waren viele Wäscher und Waschfrauen zwar sehr arm, aber sie waren zugleich hoch angesehen, weil sie ihr Geld mit ihrer Hände Arbeit verdient haben. Neuerdings hat sich das leider gewandelt. Jetzt gibt es zwar viele Wäscher, die sehr, sehr reich sind, aber das Ansehen ihres Berufsstandes ist etwas angeschlagen.“
„Und wie kommt es zu dieser merkwürdigen Veränderung?“ wollte Herr K. wissen.
„Nun ja,“ sagte der Cleanlandexperte, „vielleicht hängt es mit den Dingen zusammen, die gewaschen werden. Früher wurde vor allem schmutzige Wäsche gewaschen. Das war recht unangenehm, und manchmal hat es sogar die Ausbreitung von Krankheiten begünstigt. Seitdem die meisten Wäscher sich aber auf Dienstleistungen für Banken spezialisiert haben, ist ihr Einkommen drastisch angestiegen. Nur leider hat die Entwicklung ihres gesellschaftlichen Ansehens nicht mit der Einkommensentwicklung Schritt gehalten.“
Nun mischte sich plötzlich ein smarter junger Mann, der eine dunkle, verspiegelte Sonnenbrille trug, in das Gespräch ein. „Bitte entschuldigen Sie,“ sagte er höflich, „ich habe das interessante Gespräch leider nicht von Anfang an gehört. Aber wenn Sie einen Kredit benötigen sollten, beispielsweise um ein größeres Bauprojekt zu finanzieren, dann sollten wir ruhig darüber sprechen; denn ich bin Cleanländer und könnte Ihnen bei der Lösung eines solchen Problems eventuell behilflich sein.“
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189
Herr K. und die Versachlichung der Debatte
“Wir müssen die Debatte versachlichen,“ sagte Herr K.,
“und der Bahnhof wird gebaut. Punkt aus.“
“Aber für den Bahnhof gibt es gar kein Brandschutzkonzept,“ sagten die Leute,
„dieser Bahnhof könnte für die Reisenden zu einer Todesfalle werden.“
“Das werden wir prüfen,“ sagte Herr K., „wenn es kein vernünftiges Brandschutzkonzept gibt, dann darf der Bahnhof natürlich nicht in Betrieb gehen.“
“Sollte wir nicht darauf verzichten,“ fragten die Leute, „einen Bahnhof zu bauen, wenn dieser nicht in Betrieb gehen kann?“
“Was für ein Unsinn,“ sagte Herr K., „wir müssen die Debatte versachlichen. Einen Bahnhof baut man doch nicht, damit er in Betrieb gehen kann. Bahnhöfe werden gebaut, weil es Abstimmungen gegeben hat.“
“Aber über den Bahnhof wurde gar nicht abgestimmt,“ sagten die Leute.
“Aber ich bitte Sie,“ sagte Herr K. „es kommt doch nicht darauf an, worüber abgestimmt wurde. Jetzt müssen wir die Debatte aber wirklich versachlichen! Wo käme die Demokratie hin, wenn wir bei dem schwierigen Geschäft des Regierens auch noch die Inhalte von Abstimmungen berücksichtigen müssten.“
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190
Herr K. und das Rätsel des Daseins
Herr K. liebte das filosofische Gespräch, und er dachte gerne über die großen Menschheitsfragen nach. Als er gefragt wurde, an was er gerade arbeite, sagte er, er befasse sich mit dem Rätsel des Daseins.
„Ja, das verstehen wir,“ sagten die Leute, „das Dasein muss ein großes Rätsel für sie sein. Jetzt haben sie alles versucht, uns loszuwerden, aber Montag für Montag sind wir immer noch da.“
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191
Herr K. und der Feuergott
Es war ein schöner Wintertag mit viel Sonne gewesen, aber jetzt war es draußen schon dunkel. Seine Mitarbeiter und seine Sekretärin waren schon gegangen, er hatte noch etwas länger gearbeitet. Der Tag war anstrengend gewesen, das Reden, die vielen Leuten, und er merkte, dass er recht müde war. Für einen Augenblick schloss er die Augen.
Als er in sein Vorzimmer treten wollte, kam ihm unerwartet ein Besucher entgegen, der ihn vertrauensseelig grüßte. „Emm Ohloch,“ stellte er sich vor, „M. Olloch, sehr erfreut!“
„Ja?“ sagte Herr K. etwas abwesend, weil ihm der Besucher gar nicht angekündigt worden war, „ja habe ich Sie warten lassen?“
„Das macht nichts, das macht nichts,“ sagte Herr Ohloch, „ich bin das Warten gewohnt. Manchmal warte ich jahrelang, hi hi hih!“
Er ergriff die Hand von Herrn K. und drückte sie kräftig.
Herr K. hatte das Gefühl, dass seine Hand brannte, und dass sein Arm ganz heiß wurde.
„Wir kennen uns,“ sagte Herr Olloch, „wir sind früher oft gemeinsam am Lagerfeuer gesessen.“
„Das,“ sagte Herr K. „das muss lange her sein.“
„Ja, das ist lange her,“ sagte Herr Ohloch, „denn ich komme nicht oft.“ Und er lachte ein unangenehmes Lachen.
Herr K. betrachtete ihn. Er hatte wilde rote Haare und seine Haut war dunkel gegerbt, fast kupferfarben.
„Verzeihen Sie mir bitte,“ sagte Herr K., „ich kann mich nicht recht erinnern.“
„Oh, doch!“ sagte Herr Olloch, „oh, doch! Denken Sie nur an den Funkenflug, an den Rauch und an die heiße Luft, die nach oben wirbeln. Ist das nicht ein wunderschönes Schauspiel? Im Freien, meine ich, hi hi hih, im Freien natürlich; aber in Tunneln sollte man das lieber vermeiden!“
Was wollte dieser merkwürdige Herr, fragte sich Herr K. Und warum erzählte er von Feuern und von Bränden? Ein unangenehmer Geruch, wie von Salmiak, stieg in seiner Nase auf. Und er fragte: „Warum sind Sie denn vorbeigekommen?“
„Ach, das war zufällig,“ sagte Herr Ohloch, „ich komme meist unangekündigt; und ich möchte mich auch rasch wieder verabschieden. Vielleicht komme ich wieder,“ sagte er, „Hih, hi, hi, auf Wiedersehen!“ und er ging rasch hinaus.
Herrn K. war es etwas schwindelig geworden. Er hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihm etwas schwankte. Er ging in sein Arbeitszimmer zurück, setzte sich an den Tisch und schloss nochmals die Augen.
„Emm Olloch?“ dachte er, „M. Ohloch.“ Irgend wo hatte er diesen Namen doch schon einmal gehört.
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192
Herr K. und die Musik
Es war ihm, als hätte er diese Musik schon einmal gehört. Er legte die Zeitung weg, um genauer hinzuhören, aber er konnte den Text, der da gesungen wurde, nicht verstehen. Die beiden jungen Frauen, die am Nebentisch ununterbrochen geplaudert hatten, blickten ebenfalls auf. „Ist das der Song, von dem Du so begeistert erzählt hast?“ fragte die eine.
„Ja,“ antwortete die andere, „er handelt von dem jungen Mann, der sich zu einer weiten Reise aufgemacht hat. Es ist diese alte Geschichte…“
Herr K. sah auf die Uhr, es war höchste Zeit, dass er sich auf den Weg machte.
Auf der Fahrt ins Stadtzentrum unterhielt er sich ein bisschen mit dem Taxifahrer, als plötzlich die gleiche Musik aus dem Radio tönte, die er kurz zuvor schon einmal gehört hatte. „Kennen Sie dieses Lied,“ fragte er den Fahrer, „welche Sprache ist das denn?“ „Das habe ich irgend wo gelesen,“ antwortete der Fahrer, „war das nun Farsi, oder irgend eine afrikanische Sprache, ich weiß es nicht mehr. Aber es ist eine sehr traurige Geschichte, die da erzählt wird. Es geht um einen jungen Mann, der eine große Reise gemacht hat, bei der es ihm aber sehr schlecht ergangen ist.“
„Was ist denn geschehen?“ fragte Herr K.
„Nun, wie soll ich es sagen,“ sagte der Taxifahrer: „der junge Ausländer ist unter die Deutschen gefallen…“
Sie waren schon angekommen, und Herr K. hatte keine Gelegenheit mehr dazu, sich genauer zu erkundigen. Es hätte ihn schon interessiert, was es mit dieser Geschichte auf sich hatte.
Am Abend dieses Tages hatte Herr K. seinen Rückflug gebucht. Er war bereits auf dem Flughafen in der Wartehalle, die sich langsam mit Reisenden füllte. Er kontrollierte nochmals seine Unterlagen, und als er aufsah bemerkte er, dass die Frau, die neben ihm auf der Sitzbank Platz genommen hatte, Tränen in den Augen hatte.
„Geht es Ihnen nicht gut?“ fragte er, „kann ich Ihnen irgend wie helfen?“
„Nein, nein,“ sagte die Frau und wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht, „bitte entschuldigen Sie, es ist alles in Ordnung,“ sagte sie, „es ist nur wegen diesem Lied.“
„Wegen diesem Lied?“ fragte Herr K.
„Ja,“ sagte die Frau, „es ist wegen diesem Lied, das man gerade überall hört, von diesem jungen Flüchtling, dem so übel mitgespielt worden war. Es berührt mich,“ sagte sie, „denn es handelt von der Schönheit unserer Träume; und davon, dass es wohl keine Wahrheit gibt, die besser wäre, als die Hoffnung.“
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193
Herr K. und der kleine Unterschied
„Was heißt hier Demonstrationsverbot,“ fragte Herr K., „wie kann man von einem Demonstrationsverbot reden, wenn eine Demonstration gerade mal um 20 Meter verlegt wird.“
„Was heißt hier Betrug,“ fragte Herr K., „wie kann man von Betrug reden, wenn einer den Mund ein bisschen zu voll genommen hat?“
„Was heißt hier Verrat,“ fragte Herr K., „wie kann man von Verrat reden, wenn einer seine Versprechen nicht bis ins letzte erfüllt?“
„Was heißt hier Verfassungsbruch,“ fragte Herr K., „wie kann man von Verfassungsbruch reden, wenn es lediglich rechtliche Bedenken gibt?“
„Was heißt hier Nichtstun,“ fragte Herr K., „wie kann man von Nichtstun reden, wenn uns die Hände gebunden sind?“
„Was heißt hier Grün,“ fragten die Leute, „wie kann man von Grün reden, wenn einer kohlrabenschwarz ist?“
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194
Herr K. und die Bauruine
„In einer kleinen Stadt im Süden von Stuttgart, wurde ein recht großes, modernes Gebäude errichtet, “ sagte Herr K., „ das aber jahrelang als Rohbau stehen blieb. Es hieß, dem Investor sei das Geld ausgegangen.“
„Ja, das stimmt,“ sagten die Leute, „die hässliche Ruine am Ortseingang, musste man jahrelang ansehen. Zum Glück ist diese inzwischen wieder abgerissen worden.“
„In Stuttgart haben sie jetzt angefangen, Tunnels zu bohren,“ sagten sie, „obwohl die Finanzierung nicht in trockenen Tüchern ist.“
„Haben sie denn wenigstens die erforderlichen Genehmigungen?“ fragten einige.
„Nein, auch diese haben sie nicht,“ war die Antwort, „deshalb könnte es noch spannend werden, wie die vorschnellen Tunnelbauer aus ihrer selbst gestellten Falle wieder herauskommen.“
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195
Herr K. und der Teppich
„Wir können Häuser bauen, die über Baugruben schweben,“
sagte Herr K.,
„wir können Tunnels bauen, die das Meer untergraben;
wir können Türme bauen, die an den Wolken kratzen.“
„Sie können alles,“ sagten die Leute, „nur nicht auf dem Teppich bleiben.“
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196
Herr K. und die Erfindung
Darauf hatte sich Herr K. schon lange gefreut, und obwohl er sehr viel zu tun hatte, wollte er doch auf keinen Fall das Jahrestreffen der Freunde der Rotation versäumen. Und als der erste Redner zu einem begeisternden, flammenden Plädoyer für den aufrechten Gang anhob, wusste er, dass er sich nicht zuviel von dieser Veranstaltung versprochen hatte. Der Redner kam richtig in Fahrt, als er vorschlug, dem Erfinder des aufrechten Gangs ein Denkmal zu widmen, hier in der Stadt der Dichter und Denker.
Denn ist es nicht der aufrechte Gang, der weit über die Zeit hinaus gewiesen hat?
Bricht er sich nicht auch heute immer wieder in Aufständen und Protestbewegungen eine neue Bahn?
Herr K. klatschte so begeistert, dass ihn die anderen Zuhörer verdutzt anschauten.
Jetzt betrat ein distinguierter Herr, mit Glatze, Schnurbart und Brille das Rednerpult. Er möchte sich seinem Vorredner anschließen, sagte dieser, aber er würde dem Gedanken gerne eine um eine winzige Nuance veränderte Bedeutung geben. Der aufrechte Gang sei schließlich der Beginn allen Fortschritts, und der Anfang aller Mobilität gewesen. So richtig in Fahrt gekommen sei die Geschichte allerdings erst mit dem Rad. Vielleicht sei dieses ja sogar vor dem aufrechten Gang erfunden worden, denn wahrscheinlich hätten die Menschen das Gehen erst in dem Moment richtig erlernt, als sie mit spielerischer Kreativität hinter dem Rad hergelaufen seien. Und schließlich habe das Rad doch eine wachsende Bedeutung, nicht nur für die Eisenbahn, sondern auch und erst recht für das Automobil. Deshalb sollte der Erfinderpreis an den Erfinder des Rades gehen.
Während Herr K. noch über diese doch recht originelle Idee nachsann, brandete im Saal lautstarker Applaus auf.
Der nächste Sprecher hatte einen leicht holländischen Akzent. Ja, das Auto, sagte er, das wüsste man auch in seiner Heimat sehr zu schätzen. Dort gäbe es aber auch Windmühlen, und diese seien ja eine Art geflügelter Weiterentwicklung des Rades. Neuerdings bekämen die Windmühlen sogar eine ganz neue Rolle, seien sie doch von kaum zu überschätzender Bedeutung für die Energiewende. Und die Helikopter, die Hubschrauber, diese seien ja im Grunde genommen nichts anderes als eine raffiniert angewandte Variante der Windmühle.
Deshalb plädiere er dafür, den Erfinderpreis dem anonymen Erfinder der Windmühle zu widmen, wobei er keineswegs in eigener Sache spreche, denn nicht in Holland, sondern im Zweistromland, in der Wiege der menschlichen Kultur, sei auch die Windmühle erdacht und erfunden worden.
Herr K. war sich nicht ganz sicher, ob alle im Saal diesen kühnen Gedankenflug verstanden hatten, denn der Beifall blieb recht verhalten.
Der letzte Redner des Abends sagte, er wolle sich mit einer Frage von lokaler Bedeutung befassen, die aber zugleich weit über die Stadt und über das Land hinausweisen würde. Hier, in der Metropole des Landes, in der Stadt der Tüftler und Erfinder, sei eine Idee und eine erfolgreiche Praxis ersonnen worden, welche die Vorzüge des virtuellen Zeitalters und den Gedanken der Rotation aufs Trefflichste verbindet. Es handle sich um eine innovative Anwendung der Geschichtswissenschaft und zugleich um eine neue Grundlage künftigen Wandels. Die Zuhörer könnten sicherlich leicht erraten, wovon er spreche, nämlich von dem rotierenden Denkmalschutz. Dieser könne zu niedrigen Kosten weit über die Stadt aufgespannt werden, und doch könne auf Grund des Rotationsprinzips, das ja auch der Turbine, dem Rad, dem Windrad und selbst dem Fußballspiel zugrunde liege, immer gewährleistet werden, dass der Denkmalschutz vorübergehend gerade dort nicht gelte, wo man eines der alten und überflüssigen Gebäude loswerden und abreißen wolle.
Später am Abend konnte sich Herr K. nicht mehr richtig erinnern, ob auch der letzte Redner den gebührenden Beifall bekommen hatte, denn die ersten Zuhörer waren schon aufgestanden, und alle hatten sich rasch um das bereitstehende luxuriöse Buffet gedrängelt.
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197
Herr K. und die Halbwertszeit
Als der Sprecher der wissenschaftlichen Rosensteingesellschaft einen Referenten aus Halbanien ankündigte, horchte Herr K. auf. Es war eine kleine Sensation, dass ein Referent von so weit her gekommen war, und außerdem waren die Experten aus Halbanien dafür bekannt, dass sie sich mit halben Sachen bestens auskannten.
Der grauhaarige Herr, der jetzt hinter das Rednerpult trat, ergriff bescheiden das Wort und sagte, dass es ihm eine große Ehre sei, vor diesem erlauchten Publikum sprechen zu dürfen. Diese hervorragende Gelegenheit wolle er dazu nützen, neuere halbanische Erkenntnisse zu den Fragen der Halbwertszeit vorzutragen.
Zunächst erläuterte der weitgereiste Wissenschaftler kurz die Halbwertszeit radioaktiver Isotope. Da er dieses Fachgebiet aber als gut bekannt voraussetzte, hielt er sich nicht lange damit auf, und kam auf Fragen der Halbwertszeit in der Mathematik und in der Biologie zu sprechen. Die Zuhörer spürten, dass er hier wirklich Neuland betrat. Am Ende seiner Rede führte er aus, dass das Konzept der Halbwertszeit beim Pflanzenwachstum, in der Pharmakologie, selbst beim Lernen und Vergessen und in vielen anderen Fachgebieten eine wichtige Rolle spielt, und deshalb in Wissenschaft und Forschung außerordentlich fruchtbar angewandt werden kann. Die Zuhörer bedankten sich mit einem artigen Applaus.
In der folgenden Diskussionsrunde sprach Herr K. das Thema der Sonderfälle an:
„Während sich die Halbwertszeit üblicher Weise fast wie eine Naturkonstante verhält,“ fragte er, „gibt es da nicht Ausnahmesituationen, in denen sich die Situation rascher verändert?“
„Aber natürlich,“ antwortete der halbanische Experte. „Denken Sie beispielsweise an die Atombombe. In einer radioaktiven Kettenreaktion beschleunigt sich der radioaktive Zerfall, und in kürzester Zeit werden riesige Energiemengen freigesetzt.“
„Gibt es noch weitere ähnliche Ausnahmesituationen?“ fragten die Zuhörer.
„Aber ja,“ sagte der Albanier, „denken Sie nur an die Wahlen, vor allem an gewonnene Wahlen. Wenn die Halbwertszeit von Lernen und Vergessen normaler Weise in Stunden, in Tagen und in Wochen gemessen werden kann, dann schrumpft diese Zeit nach Wahlen manchmal blitzartig zusammen, und alles was Politiker kurz vor der Wahl noch verkündet hatten, haben sie binnen kürzester Frist fast vollkommen vergessen.“
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Herr K. und der Mann, der alles wusste
„Es ist unglaublich,“ sagte Herr K., „aber es gibt fliegende Schlangen.“
„Ja, das ist erstaunlich,“ sagte der Mann, der alles wusste, „dabei handelt es sich um die asiatische Schmuckbaumnatter, sie kann bis zu dreißig Meter weit fliegen.“
„In Holland,“ sagte Herr K., „haben sie ein Hochhaus gebaut, das ganz von grünen Pflanzen überzogen sein soll.“
„Ja, das ist wahr,“ sagte der Mann, der alles wusste, „das ist ganz toll, dort ist auf jeder zweiten Etage ein richtiger Wald angepflanzt.“
„In Amerika,“ sagte Herr K., „haben sie jetzt einen neuen Großrechner gebaut, der ist noch leistungsfähiger als die Rechner der Vorgänger-Generation.“
„Ja,“ sagte der Mann, der alles wusste, „dieser neue Rechner soll zehntausend Mal schneller sein, als alle zuvor gebauten Computer.“
„Wir planen ein neues Verkehrsprojekt,“ sagte Herr K., „das es uns erlauben wird, dass wir noch schneller reisen können.“
„Ja,“ sagte der Mann, der alles wusste, „ja, davon habe ich gehört. Ich würde all zu gerne wissen, wozu das gut sein könnte.“
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Herr K. und das Rätsel, II
„Was ist heute noch ein Rätsel?“ fragte Herr K..
„Ein Rätsel ist etwas, das die Wissenschaft nicht – oder noch nicht – erklären kann,“ sagten einige Leute.
„Heißt das,“ fragte Herr K., „dass ein Rätsel so etwas ist, wie ein Wunder?“
„Eher nicht,“ sagten die Leute, „ein Wunder ist ganz und gar nicht rätselhaft. Ein Wunder ist etwas, das eintritt, obwohl man schon lange nicht mehr damit gerechnet hat.“
„Also ist ein Wunder,“ sagte Herr K. „so etwas wie eine Katastrophe?“
„Aber nein,“ sagten die Leute, „ein Wunder gleicht eher der Rettung aus einer Katastrophe.“
„Und was ist dann der Unterschied zwischen einem Rätsel und einem Wunder?“ fragte Herr K..
„Ein Rätsel ist es,“ sagten die Leute, „warum das Wunder nicht längst eingetreten ist.“
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200
Herr K. und das Archiv
„So, so,“ sagte Herr K., als er seinen Nachbarn zufällig im Garten traf, „bauen Sie eine neue Terasse?“
„Einen fröhlichen guten Morgen,“ sagte der Nachbar, „aber keine Angst, der Lehm, der mir eben gebracht wurde, wäre viel zu schade dafür. Es handelt sich um das beste Material, das ich bekommen konnte, und ich habe lange danach gesucht.“
„Und was möchten Sie damit anfangen?“ fragte Herr K.
„Ich arbeite an einer Erfindung,“ sagte der Nachbar, „an einer wichtigen Innovation.“
„Möchten Sie den Hausbau revolutionieren?“ fragte Herr K..
„Nein, nicht direkt,“ sagte der Nachbar. „Sehen Sie, Sie haben doch sicherlich auch noch einen alten Computer, der irgendwo herumsteht.“
„Ja,“ sagte Herr K. „ein zehn Jahre altes Ding.“
„Da haben Sie wirklich Glück,“ sagte der Nachbar, „wenn Sie eine alte Diskette auslesen möchten, dann geht das mit diesem Gerät vielleicht noch. Diskettenlaufwerke kann man heute kaum noch finden, und viele Dinge, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgezeichnet wurden, sind schon längst verloren gegangen.“
„Ja, das stimmt,“ sagte Herr K..
„Und nun denken Sie einmal an das Papier,“ sagte der Nachbar, „manche Papiersorten zerfallen innerhalb weniger Jahre, und andere Papiere werden von der Tinte zerfressen, wenn sie nicht schon vorher einem Feuer zum Opfer fallen. Selbst Pergamente halten nur ein paar hundert Jahre.“
Herr K. musste lachen. „Sie möchten jetzt aber nicht etwa Keilschriftzeichen in Tontäfelchen ritzen?“
„Was gibt es da zu lachen?“ fragte der Nachbar, und er musste selbst ein bisschen schmunzeln. „Nein, Keilschriftzeichen natürlich nicht. Denn heutzutage können nur noch wenige Experten Keilschriften lesen. Aber ich habe erfahren, dass die Tontäfelchen aus dem Zweistromland manchmal über viele tausend Jahre erhalten geblieben sind, zweitausend, dreitausend, ja sogar mehr als viertausend Jahre.“
„Und was möchten Sie auf Ihre Tontäfelchen schreiben?“ fragte Herr K. „Möchten Sie die Nachwelt über die Gefahren der Atomkraftwerke und er Radioaktivität informieren?“
„Daran habe ich weniger gedacht,“ entgegnete der Nachbar. „Denn in unserer Stadt soll ja kein Atomkraftwerk vergraben werden. Nein, ich möchte auf Tontafeln die Namen der Frevler festhalten.“
„Die Namen der Frevler?“ fragte Herr K..
„Ja, die Namen der Herren und der Damen, denen die alten Bäume zum Opfer gefallen sind. Die Namen der Leute, die sich an unserem Mineralwasser zu schaffen machen möchten. Die Namen der Firmen und der Berater, die an dem dreckigen Geschäft verdienen werden; und die Namen der Politiker und der Politikerinnen, die es schon einmal besser gewusst haben, die dann aber so rasch vergessen haben, warum sie gewählt worden sind. Wir werden wenigstens dafür sorgen, dass man ihre Namen nicht so schnell vergessen wird.“
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201
Herr K. und der Unterricht
Auch als Herr K. längst als Lehrer unterrichtete, träumte er manchmal noch von seiner Schulzeit. Und oft hatten diese Träume etwas mit Mathematik zu tun.
Neulich hatte er geträumt, dass er an der Wandtafel vorrechnen musste; eine Situation, die er eigentlich nicht ausstehen konnte. Die schwierige Aufgabe, die er lösen sollte, hieß:
„Was ist 16 – 8 ?“
Er stand vor der Tafel und grübelte, `sechzehn minus acht, sechzehn minus acht;`
die Schüler aus der Klasse riefen dazwischen. „Dreißig, zwanzig, vierzig…“
Er kam immer mehr durcheinander, dann beobachtete er sich selbst, wie er zögerlich „zweiunddreißig“ an die Tafel schrieb: 16 – 8 = 32.
„Schäm Dich,“ schrie ihn der Lehrer an, und die ganze Klasse tobte vor Lachen.
„Setz Dich, Du mathematische Niete“ sagte der Lehrer „Du bist ein mathematischer Blindgänger!“
und Herr K. ging wie in Trance zu seinem Platz zurück.
Jetzt sah er, wie seine Nebensitzerin kess die langen Haare zur Seite warf und selbstbewußt zur Tafel ging. Stolz nahm sie die Kreide und verbesserte seinen Aufschrieb.
„Es war schon im Ansatz falsch,“ sagte sie, wischte die Zahlen aus und schrieb:
17 – 9 = 34.
„Prima,“ lobte der Lehrer, „hervorragend, ganz ausgezeichnet!“
Das Klingeln der Pausenglocke unterbrach den Unterricht, und Herr K. war richtig froh,
als er merkte, dass er nur von einem schlechten Traum aufgewacht war.
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202
Herr K. und die Tunnelpaten
Auf einer längeren Bahnfahrt beobachtete Herr K. eine junge Reisende, die sehr interessiert in einem Buch las. Als sich ihre Blicke zufällig begegneten, sagte Herr K.: „Es muß ein spannendes Buch sein, das Sie da lesen.“
„Oh ja,“ antwortete sie, „es ist ein sehr interessantes Buch.“
„Darf ich fragen, wovon es handelt?“ fragte Herr K..
„Warum nicht,“ antwortete sie, „es geht um Tunnelpaten.“
„Tunnelpaten, sind damit Leute gemeint, die Tunnels taufen?“ fragte Herr K..
„Ja, auch,“ sagte die junge Reisende. „Merkwürdiger Weise denkt man dabei oft an Frauen. Aber das Buch berichtet davon, dass die meisten Tunnelpaten Männer sind.“
„Das ist aber erstaunlich,“ sagte Herr K..
„Ja,“ bestätigte sie, „es ist auch nicht leicht herauszufinden. Viele denken nämlich, dass man Tunnelpaten einfach daran erkennen könne, dass diese Wasserwerfer gegen protestierende Bürger hetzen. Aber nicht jeder, der mit Wasserwerfern schießen läßt, ist ein Tunnelpate; und nicht jeder, der keine Wasserwerfer einsetzt, ist kein Tunnelpate.“
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203
Herr K. und der Papagei
Weil er noch etwas Zeit hatte, schlenderte Herr K. durch eine große Zoohandlung. Dort gab es alle möglichen Vögel, unter anderem schöne grüne Gelbkopfamazonen.
Als er an der Voliere vorbeilief, schnarrte einer der Vögel: „Gutten Taag! Gutten Taag!“
Erstaunt blieb Herr K. einen Moment stehen.
„Das sind kluge Tiere,“ sagte der Verkäufer, „man kann ihnen allerlei beibringen.“
„Es wird wohl immer das Gleiche sein, was das Tier da schnarrt.“ mutmaßte Herr K.
„Nein, nein,“ sagte der Verkäufer, „man kann ihnen viel mehr beibringen, fast das ganze Programm politischer Parteien.“
„Ist das nicht ein bisschen übertrieben?“ fragte Herr K..
„Aber nein,“ sagte der Verkäufer. „Gestern beispielsweise haben wir einen der grünen Papageien verkauft, der konnte ´Volksabstimmung` sagen; und wenn wir ihn noch etwas hier behalten hätten, dann hätten wir ihm bestimmt auch noch ´Baurecht, Baurecht` beigebracht.“
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204
Herr K. und der Spiegel
„Es ist doch nur ein Bahnhof,“ sagte Herr K..
„Ja,“ sagten die Leute, „es ist nur ein Bahnhof. Aber in seiner Geschichte spiegelt sich ein ganzes Universum.“
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205
Herr K. und das Baurecht
„Selbst wenn wir etwas dagegen tun wollten, dann könnten wir leider nichts tun,“ sagte Herr K., „denn die Bahn hat Baurecht.“
„Ach, das ist aber interessant, “ sagten die Leute, „die Bahn hat Baurecht!“
„Ja – und warum baut sie dann nicht?“ fragten sie.
„Will sie nicht bauen oder kann sie nicht bauen?“
„Oder ist die Sache mit dem Baurecht am Ende genau so ein Märchen, wie zum Beispiel die Sache mit dem Kostendeckel?“
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206
Herr K. und das Tribunal
Herr K. wusste nicht so richtig, wie er hierher gekommen war. Der Saal war groß und etwas düster. Eher grau als blau. Eine Frau in schwarzer Robe erinnerte ihn an einen Käfer.
„Schuldig!“ sagte sie.
„Aber…“ wollte er sagen.
Sie starrte ihn an und zischte: „Ruhe.“
Neben ihr saß ein Mann, der etwas von der knorrigen Rinde eines Baumes hatte.
„Schuldig!“ sagte dieser.
„Aber ich…“ wollte Herr K. sagen.
„Ruhe!“ wurde er angeherrscht.
Die dritte Person, wieder eine Frau, aber mit langen Spinnenfingern und weiten Ärmeln einer schwarzen Robe, erinnerte ihn an eine Fledermaus. Mit hoher Stimme sagte sie: „Schuldig!“
Ruhe trat ein. Das Bild des Raumes, grau in grau, schien ihm zu verschwimmen.
Als er zur Seite schaute, sah er viele große Käfer auf Stühlen sitzen, dazwischen alte Bäume, und an der Decke des hohen Raumes flatterten aufgeregt Fledermäuse.
„Nun, haben Sie nichts dazu zu sagen?“ wurde er angeherrscht.
„Jetzt können Sie nochmals Stellung nehmen.“
„Ich weiß gar nicht,…“ sagte er.
„Er weiß gar nicht, er weiß gar nicht…“ hallte es vielstimmig durch den Saal.
„Ich bin unschuldig.“ hörte er sich sagen, „es war nicht meine Entscheidung.“
„Unerhört,“ zischten die Käfer, „er will sich herausreden.“
„Wessen Entscheidung war es denn dann?“ fragte der Richter in der Robe, der aussah wie ein alter Baum. „Möchten Sie uns bitte aufklären?“
„Es war die Vorgänger-Regierung,“ sagte Herr K..
„Er will sich herausreden,“ zischelten die Käfer, „er will sich herausreden!“
„Die Vorgänger-Regierung?“ sagte der baumartige Richter, „sie meinen diese Leute seien schuld? Damit kommen Sie nicht durch! Über die Vorgänger-Regierung kann man wirklich viel Schlechtes sagen. Aber es waren wenigstens ehrliche Betrüger. Denn sie haben nie behauptet, dass sie versuchen würden, den großen Betrug zu verhindern.“
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207
Herr K. trifft auf deutsche Kultur
Auf einer seiner Reisen durch Amerika, wurde Herr K. in Florianopolis zu einer Gartenparty eingeladen. Es gab Café und Kuchen, und als Herr K. eine Torte, die ihm angeboten worden war, artig lobte, freute sich die Gastgeberin sehr, und sagte, dass es sich doch immer wieder lohnen würde, dass sie sich regelmäßig ein paar Dosen von dieser Torte extra aus Europa, aus dem Black Forest, kommen lassen würde.
Als Herr K. erwähnte, dass er zufällig ganz in der Nähe des Black Forest leben würde, mischte sich sogleich ein Herr aufgeregt in das Gespräch ein und sagte, dass Herr K. ihn dann aber unbedingt besuchen kommen müsse, denn er müsse ihm einfach seine Sammlung von Black Forest Kuckucksuhren zeigen, die ihm sicherlich sehr gefallen würde.
„Wir schätzen die deutsche Kultur sehr,“ sagte er. „Deshalb fahre ich auch einen BMW, den Volkswagen aus Untertürkheim. Nicht weil ich ein so großes Fahrzeug brauchen würde, sondern mehr aus Wertschätzung für die deutsche Ingenieurskunst.“
Über so viel Sympathie freute sich Herr K. natürlich.
„Darf ich noch eine Frage stellen?“ fragte der große Bewunderer deutscher Kunst.
„Ich habe gelesen, dass in Hamburg ein großer Flughafen gebaut werden soll. Aber ich verstehe nicht so richtig, warum eine Stadt, die bereits über einen florierenden Seehafen verfügt, unbedingt auch noch einen Flughafen benötigt. – Und noch etwas anderes ist mir nicht ganz klar: da soll es eine Stadt in Süddeutschland geben, die eine riesige Konzerthalle unter die Erde verlegen möchte? Können diese Leute denn, wenn es nur darum geht, Musik zu hören, nicht einfach oben bleiben?“
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208
Dathanische Geschichten I
Herr K. und die Prosperität
„Neues Staatenbündnis lädt Businessmen und Touristen ein“ war der Artikel überschrieben, und im Folgenden war ausgeführt, dass die Länder Luggmenien, Thrugmenien und Dattastahn ihre Tore weit öffnen wollten, und dass alle Wirtschafts- und Reisebeschränkungen ab sofort wegfallen würden. Endlich einmal eine positive Nachricht, dachte Herr K., und er legte seine Zeitung zur Seite, um noch einen Schluck Café zu trinken.
Früher waren diese abgelegenen Länder recht unzugänglich gewesen, und deshalb verfügte er auch nur über spärliche Kenntnisse über diese doch gar nicht so unbedeutende Region. Deshalb hatte er mit großem Interesse begonnen, den Zeitungsartikel zu lesen, in dem ausführlich von neuen und von sehr attraktiven Möglichkeiten die Rede war. Ja, die Zeiten ändern sich, dachte er.
Der alte Roman „Durchs wilde Dattastahn“ fiel ihm wieder ein, und er musste schmunzeln, bei dem Gedanken daran, wie er diesen dicken Band einst in seiner Kindheit begeistert geradezu verschlungen hatte. Von wilden Bergschluchten war dort die Rede, von Fallen und Verstrickungen, und von gefährlichen schmalen Brücken. Dabei war der Autor, der diese Landschaft so lebendig und so packend beschrieben hatte, selbst doch niemals dort gewesen.
Als er den Artikel zu Ende las, erfuhr er, dass der unbestreitbare Fortschritt in dem Staatenbündnis von Lugmenien, Trugmenien und Datastan (so die vereinfachte Schreibweise), dass der dortige Fortschritt natürlich auch seinen Preis hatte. Von Gewinnern und von Verlierern war da die Rede. Dass sich manch einer verheddert hätte, in den neuen Möglichkeiten und in den neuen Verlockungen. Dass das Gedächtnis der Wähler zwar sehr kurz, die Speicherdauer in den Datenspeichern jedoch umso länger sei; und dass manch eine elegante Ausrede infolge dessen nach einiger Zeit bereits als Lüge entlarvt worden sei.
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Dathanische Geschichten II
Herr K. hat Geburtstag
Sein Frau überraschte ihn mit Blumen, mit einem Kuchen und mit einem phantastischen Frühstück, so dass er ihr einen dicken Kuss auf die Wange drücken musste. Anscheinend hatte sie auch schon herausgefunden, für was er sich neuerdings besonders interessierte, denn auf dem Gabentisch lag der neueste Band des Lonely Planet: „Dathanien, die schöne Hauptstadt Datastahns.“
Als wenig später der Briefträger klingelte, brachte er viele Geburtstagsbriefe und ein kleines Päckchen. Natürlich war Herr K. sehr gespannt darauf, zu erfahren, was er da geschenkt bekommen hatte. Es war ein Buch, das bisher seiner Aufmerksamkeit entgangen war: „Die neuen Leiden des jungen D.“ mit dem Untertitel: „Irrungen und Wirrungen eines Dathaniers.“
Kaum war er im Büro angekommen, drückte ihm ein Kollege ein Büchlein in die Hand, mit dem Titel „Datastahn und der Datenschutz“ und dem Untertitel: „Warum wir nicht unsere Daten schützen sollten, sondern unsere Daten uns“. Er freute sich sehr darüber, denn er schätzte die gepflegte Lektüre.
Als er sich aber abends nochmals den Verlauf des schönen Tages in Erinnerung rief, merkte er, dass er sich gar nicht richtig erklären konnte, wie seine Freunde von seinem neuen Interessensgebiet erfahren hatten, denn er hatte bisher eigentlich mit niemandem darüber gesprochen. „Hast Du eigentlich meine geheimsten Wünsche ausgeplaudert?“ fragte er beiläufig seine Frau, die das aber entschieden bestritt und weit von sich wies.
„Nun ja,“ sagte er sich, „es soll mir recht sein.“
In Zeiten des Internets darf man sich wahrscheinlich nicht besonders wundern, wenn auch die besten Freunde über die neuesten Absichten und Tendenzen bestens informiert sind.
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Dathanische Geschichten III
Herr K. erkundet Dattastahn
Darauf hatte sich Herr K. lange gefreut, eine Reise nach Dathanien; und tatsächlich hatte er sich nicht zu viel versprochen. Jetzt, wo er das Daten-Valley in Richtung Stadtzentrum hinunterfuhr, konnte er die herrliche Landschaft so richtig genießen. Für einige Tage hatte er sich einen Leihwagen genommen, und heute wollte er das berühmte Museum für die Geschichte der Computer besuchen.
Plötzlich wurde er von einem Polizeiauto überholt und an den Straßenrand dirigiert.
Als eine Polizistin zum Wagenfenster kam, griff er ganz automatisch zu seiner Brieftasche und um seinen Führerschein vorzuzeigen.
„Guten Tag Herr K.“ grüßte ihn die Polizistin, „lassen Sie Ihren Ausweis ruhig stecken. Wir sind hier in Datastan, hier werden keine Polizeikontrollen durchgeführt,“ sagte sie freundlich lächelnd.
„Wir wollten Sie nur darauf aufmerksam machen, dass Sie falsch abgebogen sind. Sie hätten an der letzten Kreuzung nach links fahren müssen; aber das ist gar nicht weiter schlimm. Fahren Sie jetzt bitte einfach weiter und biegen Sie drei Mal nach rechts ab, dann sind Sie wieder richtig und kommen direkt auf das Museum zu. Sie können es gar nicht übersehen. Wir wünschen Ihnen eine gute Fahrt, und genießen Sie Ihren Urlaub in Datastan.“
So verabschiedete sie sich fröhlich und brauste wieder davon.
Etwas erleichtert setzte Herr K. seine Fahrt fort und parkte den Wagen direkt vor dem modernen Geschichtsmuseum. Kurz war ihm so, als ob die Polizistin eigentlich gar nicht hätte wissen können, dass er vorhatte, das Computer-Museum zu besuchen. Dann aber dachte er sich:
´Die Leute sind hier wirklich sehr nett.´
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Dathanische Geschichten IV
Herr K. macht einen Spaziergang
Von dem Computer-Museum war Herr K. wirklich sehr beeindruck.
Von den Anfängen der Schrift und der Mathematik bis zu den allerneuesten Computersystemen war hier alles hervorragend dokumentiert, ausgestellt und erklärt.
Nun stand er wieder vor dem Museum und wusste nicht so recht, was er als nächstes machen sollte. Er beschloß, das Auto stehen zu lassen und die breite Allee in Richtung Altstadt hinunter zu schlendern.
Hier gab es Gebäude aus ganz verschiedenen Epochen. Einzelne Bauten waren sehr alt, andere waren hypermodern, aber alles war gut und harmonisch aufeinander abgestimmt. Er merkte, dass er sich hier auf einem Gebiet alter und hochstehender Kultur befand. Ganz offensichtlich verfügten die Dathanier sowohl über einen guten Geschmack, als auch über hervorragende Architekten.
Sie hatten also nicht den Fehler provinzieller deutscher Städte gemacht, ganze Stadtviertel abzureisen und durch langweilige Einheitsklötze zu ersetzen.
Wenn er in diesem Zusammenhang an seine maltraitierte Heimatstadt dachte, wurde es ihm ganz weh ums Herz.
Herr K. spazierte durch belebte Gassen, durch malerische Arkaden und über urbane, baumbestandene Plätze. Hier herrschte ein reges Leben, es gab viele Straßencafés und die unterschiedlichsten Restaurants. Als er etwas Hunger verspürte, wollte er schauen, ob er in einer kleinen Taverne etwas essen könnte. Als er die Türe öffnete, kam ihm der Kellner entgegen und sagte:
„Sie werden schon erwartet.“
Er führte ihn zu einem Tisch, an dem noch ein Stuhl frei war, und die Gäste, die dort saßen, begrüßten ihn freundlich mit seinem Namen.
Er kannte diese Leute nicht.
„Aber – wie konnten Sie wissen, dass ich komme?“ fragte er erstaunt und etwas verwirrt.
„Nun,“ sagten sie, „wir wären schlechte Datanier und schlechte Datenanalytiker, wenn wir es nicht leicht geschafft hätten, herauszufiltern, dass Sie sehr wahrscheinlich genau hierher kommen werden.“
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Dathanische Geschichten V
Herr K. wird zum Feinschmecker
Die Leute, die er zufällig in dem kleinen Restaurant getroffen hatte, kannten sich bestens mit der Küche des Landes aus, und so konnte sich Herr K. nach ihren Empfehlungen ein richtig tolles Menue zusammenstellen:
– ein genoptimiertes Mais-Wurm-Sahne-Süppchen;
– ein leckeres Analog-Schweine-Schnitzel, frisch aus dem 3-D-Drucker;
– dazu ein Glas garantiert mehrfach um die Welt transportierten Weines;
– und als Nachtisch einen köstlichen Aroma-Coctail.
Ganz nebenbei ergab sich eine sehr nette Unterhaltung, und seine neuen Bekannten luden ihn zu einem Treffen am nächsten Tag ein.
Als Herr K. bezahlen und aufbrechen wollte, machte ihn der Kellner darauf aufmerksam, dass man in diesem Lokal nicht bezahlen muss.
„Es genügt, wenn Sie Ihre Daten zurücklassen,“ erklärte er höflich.
„Ja muss ich dazu einen Fragebogen ausfüllen?“ fragte Herr K.
„Aber nein, wo denken Sie hin?“ antwortete der Kellner, „so rückständig sind wir nicht. Wir sind hier in Datanien, Ihre Daten sind natürlich längst automatisch erfasst worden.“
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Dathanische Geschichten VI
Herr K. und die Transversale
Zurück im Hotel erkundigte sich Herr K. nach der großen Baustelle, die er unterwegs gesehen hatte.
„Da wird die Lug-und-Trug-Transversale gebaut,“ erzählte die Dame an der Rezeption stolz, „es handelt sich um eine Magnetschwebebahn durch das Gebirge, von Dathanien, über Thrugmenien bis nach Luggistan.“
„Aber,“ sagte Herr K., „es gibt doch, wie ich gesehen habe, bereits ganz ausgezeichnete Verkehrsverbindungen, braucht den Dattastahn überhaupt eine Magnetschwebebahn?“
„Aber ich bitte Sie,“ sagte die Rezeptionistin empört, „soll denn der Fortschritt an unserem kleinen Land vorbeigehen? Wir können auf die Transversale auf keinen Fall verzichten.“
„Und wann wird die Magnetschwebebahn fertig sein?“ fragte Herr K.
„Hoffentlich nicht so bald!“ antwortete die junge Dame, „denn sonst würden ja die vielen Busse mit den Baustellen-Touristen ausbleiben, nicht auszudenken!“
„Ich meine,“ sagte Herr K. „vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt, ich meine, wann sollen denn die ersten Reisenden mit der Bahn fahren?“
„Sie sind aber ein Spassvogel!“ sagte die Rezeptionistin, „Sie Schelm Sie! Jedes Kind weiß doch, dass eine Bahn nicht für die Passagiere gebaut wird!“
„Aber wozu denn sonst?“ fragte Herr K. immer noch recht ahnungslos.
„Sie werden verstehen,“ sagte die junge Dame lachend, „dass wir uns nicht immer nur über das Wetter unterhalten möchten. Wie langweilig wäre unser Leben, wenn es keine Signalstörungen gäbe, keine ausfallenden Klima-Anlagen, keine Entgleisungen, keine Tunnelbrände und keine einstürzenden Brücken.“
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Dathanische Geschichten VII
Herr K. und die Universität
Als Herr K. am nächsten Morgen in die Hotel-Lobby kam, wurde er von seinen neuen Freunden schon erwartet. Sie wollten ihm gerne die Universität von Dathanien zeigen.
Das Hauptgebäude der Universität, das den lieblichen Charme eines Schuhkartons ausstrahlte, war nicht weit von dem Hotel entfernt und konnte leicht zu Fuß erreicht werden. Mit einem gläsernen Aufzug fuhren sie in das 42. Stockwerk, von wo man einen wunderschönen Ausblick über das ganze Tal genießen konnte. Den gläsernen Aufzug würden sie dem Architekten des Hochhauses verdanken, erklärten die Freunde, denn dieser habe darauf bestanden, dass in dem Neubau die größtmögliche Transparenz hergestellt werden müsse, wie dies ja für die Wissenschaft in einer modernen Gesellschaft eigentlich ohnehin selbstverständlich sei.
Genau genommen heiße die Universität nach dem ersten genialen Fernreisenden, der die Hochschule begründet habe, Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen-Universität, aber umgangssprachlich spreche man meist einfach nur von der Tripple University oder der 3-D-Uni, weil der Wahlspruch der Universität nun einmal das Dreifache D enthalte.
„Das dreifache D?“ fragte Herr K. erstaunt, „was ist denn damit gemeint?“
„Ganz einfach,“ bekam er zur Antwort: „dynamische Wahrheit, dynamische Kosten, und dynamischer Nutzen. Denn der Wahrheit von Kosten und Nutzen ist die Universität verpflichtet, da orientieren wir uns bis heute ganz klar an dem Begründer der Universität.“
Bei einer Tasse Café erklärten die Gastgeber, dass sie ihm heute ein besonders fortschrittliches Projekt vorstellen wollten. Denn die Innovation in den Wissenschaften resultiere meist aus der Verknüpfung von Ideen, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun hätten. Bei diesem Projekt, das sie heute zeigen möchten, gehe es um die Verknüpfung zweier Verkehrsmittel: nämlich eines Lastwagens mit einer Flugmaschine. Genauer gesagt, hätten sie sich die Regierung eines kleinen deutschen Staates zum Vorbild genommen, die erfolgreich Wasserwerfer gegen aufmüpfige Bürger eingesetzt habe; sowie die Regierung eines amerikanischen Landes, die ebenso erfolgreich fliegende Roboter gegen ihre Gegner einsetzen würde.
Wenn man eine geniale Erfindung gemacht hat, dann versteht man meist gar nicht mehr, warum man nicht schon früher darauf gekommen sei. sagten sie. Und zeigten ihm einige Bilder, von dem geplanten Projekt: die Bekämpfung von Steppenbränden mittels automatisch fliegender Feuerwehrdrohnen. Diese wunderbaren Flugobjekte hätten einen doppelten Nutzen, erklärten sie mit zufriedener Miene, denn sie können auch hervorragend zur Bekämpfung unzufriedener Bürger eingesetzt werden.
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Dathanische Geschichten VIII
Herr K. stellt noch eine Frage
Auf dem Rückweg zum Hotel fiel Herrn K. auf, dass an sehr vielen Häusern ähnlich wie an Wirtshausschildern silberne Teller aufgehängt waren.
„Darf ich noch eine Frage stellen?“ fragte Herr K., „was hat es denn mit den vielen silbernen Tellern auf sich, die da überall hängen?“
„Was meinen Sie mit ´silbernen Tellern`?“ fragte der Herr, der gerade an der Hotelrezeption Dienst hatte; „aus welcher Richtung sind Sie gekommen? Ach so, aus Richtung der Münchhausen-Universität,“ sagte er, „jetzt weiß ich, was Sie meinen. Das sind Friseurspiegel, und dort sind diese auch ganz besonders notwendig.“
„Das verstehe ich nicht ganz,“ sagte Herr K. etwas ratlos.
„Das ist nicht schwierig zu verstehen,“ antwortete der Rezeptionist, „Sie haben sicherlich schon bemerkt, dass wir hier beim Datensammeln nicht ganz ohne Erfolg geblieben sind.
Was meinen Sie denn, wozu diese Daten so dringend gebraucht werden?“
„Damit kenne ich mich nicht aus,“ antwortete Herr K..
„Das ist doch ganz einfach,“ sagte der Rezeptionist und reichte Herrn K. den Zimmerschlüssel. „Immer wenn in Dathanien jemand auf dumme Gedanken kommt, wird ihm der Kopf gründlich gewaschen. Und deshalb werden gerade in der Nähe der Universität besonders viele Friseursalons gebraucht.“
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Herr K. und die Brücke, I
Die Lösung
In Hasenthal gab es einen kleinen Bach, an dem die Kinder gerne spielten. Sie wadeten über die Kiesel, stauten das Wasser auf, und wenn sie auf die andere Seite gehen wollten, sprangen sie mit einem mutigen Satz über das Wasser hinüber. Auch Herr K. hatte als Kind gerne an dem Bach gespielt.
Eines Tages kam jemand auf die Idee, eine Brücke zu bauen. Die kleine Brücke war wunderschön, und nun konnte man ohne zu hüpfen einfach auf die andere Seite gehen.
Alle waren mit der Brücke zufrieden; nur der Fähr-Unternehmer der Stadt befand, dass an der Brücke eigentlich recht wenig verdient sei. Er ärgerte sich zunehmend darüber, daß ihm durch die Brücke ständig ein guter Gewinn entging. Für eine Fähre war der Bach aber viel zu klein. Wie sollte man da die Leute dazu bringen, für das Überqueren dieses Baches einen Obolus zu entrichten?
Die Lösung für dieses schwierige Problem kam ihm, als er bei einem Spaziergang den spielenden Kindern zusah. Warum war er nicht früher darauf gekommen?
Eigentlich musste man nur die Brücke abreißen, den Bach ein bißchen aufstauen, und schon konnten alle vorteilhaft mit seiner Fähre das lästige Nass überqueren.
Heureka!
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Herr K. und die Brücke, II
Ein Schnäppchen
In der Sache war rasch Einigkeit erzielt. Die Räte hatten sofort verstanden, dass der namenlose Bach, der das Hasenthal durchströmte, viel zu klein war, um einen geordneten Fährverkehr zu ermöglichen. Deshalb mußte, was jedermann leicht einsehen konnte, ein Staudamm gebaut werden.
Lediglich einige Nörgler und ewige Bedenkenträger argumentierten, dass mit dem Bauwerk große Risiken und unkalkulierbare Kosten auf die Stadtkasse zukommen würden.
Als aber der Besitzer des einzigen Fährbootes, das in der Stadt zu finden war, vorrechnete, dass sich der Bau des Staudamms leicht aus dem Verkauf von Seerosen finanzieren lassen werde, stimmten die Räte mit großer Mehrheit für das zukunftsträchtige Vorhaben.
„Ein Geschenk für die Stadt!“ titelte der Thalbote am nächsten Tag, und der führende Wirtschaftsexperte des Blatts führte aus, dass es sich bei dem Projekt zur nachhaltigen Verbesserung der Verkehrssituation um ein Schnäppchen für die Bürger und um eine einmalige ökonomische Entwicklungschance handeln würde, welche den Stadtsäckel mit keinem Cent belasten würde.
Der Herausgeber der Zeitung überschrieb seine tägliche Kolumne mit den prophetischen Worten:
„Hasenthal wird zum Seerosenparadies“.
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Herr K. und die Brücke, III
Kritische Begleitung
In der entscheidenden Abstimmung hatte sich Herr K. enthalten, denn als namhaftes Mitglied der Opposition konnte er unmöglich mit der Mehrheit stimmen; obwohl er dem Projekt einer Fährverbindung viel abgewinnen konnte. Er erinnerte sich daran, dass er als Kind oft genug mit einem großen Satz über den Hasenbach gesprungen war, und seine Sonntagsspaziergänge hatten ihn regelmäßig über die kleine Brücke geführt. Wenn man es aber richtig bedachte, dann war doch erst eine Fährverbindung wirklich barrierefrei; und schon im Interesse der älteren Hasenthaler musste man im Grunde genommen doch die Weiterentwicklung zu einer dynamischen Verbindung der beiden Bach-Ufer befürworten.
Wenn sich Herr K. jetzt noch sträubte, so lag das vor allem daran, dass er seiner Oppositionsrolle in angemessener Form gerecht werden mußte. Erst als der Bürgermeister ihn unter großem Applaus zum kritischen Begleiter ernannte, konnte er tatkräftig für den Fortschritt eintreten. In der nächsten Sitzung des Gemeinderats hielt Herr K. deshalb eine fulminante Rede:
“Niemand kann das große Werk ablehnen,“ sagte er, „denn es ist nun einmal beschlossen.
Im Sinne der kritischen Begleitung will ich jedoch daran erinnern, dass mit Seerosen noch niemals die Lösung der Welternährungsfrage herbeigeführt worden ist. Deshalb beantrage ich, dass der Gemeinderat prüfen möge, ob statt Seerosen nicht auch Lotosblüten angebaut werden können.“
„Lotos hat einen doppelten Nutzen,“ führte er aus, „der Preis für die Lotosblüten liegt deutlich über dem Preis für Seerosen, und außerdem sind Lotoswurzeln essbar. Sie schmecken so ähnlich wie Rettich, und deshalb kann man mit Lotoswurzeln sowohl bayrische als auch chinesische Investoren anlocken.“
Der Gemeinderat nahm den weitsichtigen Vorschlag von Herrn K. recht positiv auf. Lediglich der Friedhofsgärtner zog ein saures Gesicht, weil er sich darüber ärgerte, dass er nicht selbst auf den grandiosen Einfall mit den Lotuswurzeln gekommen war.
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219
Herr K. und die Brücke, IV
Das Jobwunder
Ganz im Geiste der kritischen Begleitung hatte Herr K. nachdrücklich ein Gutachten zu den Auswirkungen der innovativen Einrichtung einer Fährverbindung über den Hasenbach gefordert. Mit der Erstellung dieses Gutachtens, das aus Gründen der Konkurrenz auf dem hart umkämpften Markt strengster Geheimhaltung unterliegen musste, wurde ein renommierter Jurist beauftragt, der sich auf so delikate Dinge wie Ausnahmegenehmigungen, Sondergenehmigungen und Gefälligkeitsgutachten spezialisiert hatte; der aber vor allem durch seine enge Freundschaft zum Bürgermeister für die heikle Aufgabe qualifiziert war.
Vorgestellt wurde das hochwissenschaftliche Gutachten in kleinem Kreis in dem Hinterzimmer des Ratskellers, in das sich normaler Weise die Räte zum Rauchen zurückzogen. Da die Sitzung geheim bleiben musste, war von der Presse nur der Photograph und der Lokalreporter zugelassen worden. Das Gutachten umfasste 1.753 Seiten, die aus zeitökonomischen Gründen natürlich nicht in allen Einzelheiten besprochen werden konnten.
Worum ging es? Der Gutachter wies zunächst darauf hin, dass es ein grundlegender Denkfehler sei, dass für den geordneten Betrieb einer Fährverbindung nur ein Fährmann, oder in Zeiten der Emanzipation und Inklusion, eine Fährfrau nötig sei. Auch die Überlegung, dass an Sonn- und Feiertagen, bedingt durch das höhere Spaziergängeraufkommen zwei Fährmänner oder Fährfrauen eingesetzt werden müssen, gehe an der Sache vorbei, dies könne man zunächst vernachlässigen.
Bei einer genaueren Berechnung müsse man aber vor allem berücksichtigen, dass auch Fahrkarten-Verkäufer und Fahrkarten-Abstempler benötigt werden, und zwar auf jeder Seite des Baches. Mit einem modernen Multitasking könnten zwar die Verkäufer auch gleich die wichtige Aufgabe des Abstempelns mit übernehmen, es führe aber kein Weg daran vorbei, dass man also mindestens 3 Personen zeitgleich benötige, bei Zweischichtbetrieb 6 Mitarbeiter pro Tag.
Nun hat ein Jahr bekanntlich 365 Tage, wenn man von den Schaltjahren absieht, die in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden dürfen. Die Zahl der neuen Arbeitsplätze, die mit dem Fährverkehrsprojekt entstehen beträgt deshalb genau 6 Mitarbeiter mal 365 Tage mal 1.753 Seiten des Gutachtens, summa summarum 3.839.070 Arbeitsplätze, was jeder leicht nachrechnen kann. Hierbei handelt es sich um eine konservative Berechnung, weil ja das Mehraufkommen an Feiertagen noch gar nicht berücksichtigt worden ist.
Am nächsten Tag berichtete der Thalbote, dass in Hasenthal ein Jobwunder unmittelbar bevorstehe, ein Wirtschaftsaufschwung in der ganzen Region, mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass auch die Welternährungsfrage endlich zufriedenstellend gelöst werden wird.
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220
Herr K. und die Brücke, V
Der Leserbrief
“Auch wenn der Nutzen des Projekts für eine dynamische Entwicklung des Arbeitsmarkts unabweisbar ist,“ schrieb Herr K. in einem Leserbrief des Thalboten, „sollten wir doch sehr ernsthaft über ein Sicherheitsnetz für die Kosten nachdenken.
Dieses muss unbedingt die zeitgemäßen Standards streng einhalten.
Der Gemeinderat muss sich deshalb von vorn herein an der üblichen Kostenentwicklung, beispielsweise von Flughäfen und Konzerthallen, orientieren.
Es muss garantiert werden, dass die tatsächlichen Kosten die geplanten Kosten nicht um mehr als das fünfzehnfache überschreiten, während die Bauzeit sich allenfalls verzehn- bis verzwölffachen darf.“
„Es ist gut, dass wir so sparsame Stadträte haben,“ sagten die Leute, „ohne sie würde alles aus den Fugen geraten; die Bäume würden in den Himmel wachsen.“
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221
Herr K. und die Brücke, VI
Wegezoll
Um einen geordneten Fährbetrieb zu ermöglichen, muss der Hasenbach aufgestaut werden. Aber bevor mit dem Bau des erforderlichen Staudamms begonnen werden kann, muss natürlich vor allem die kleine Brücke über den Bach abgerissen werden, schon um die Unumkehrbarkeit des Vorhabens zu dokumentieren.
Ausgerechnet in die Sitzung, in der nach intensiver fünfzehnjähriger Vorbereitung die ersten konkreten Baumaßnahmen beschlossen werden sollten, platze der Amtsbote mit einem Telegramm aus Arizona:
Die Yankee Diddle Do Company Ltd. welche im Rahmen eines für die Stadt Hasenthal außerordentlich günstigen Cross-Border-Leasing-Verfahrens die Hasenthalbrücke erworben hatte, wies darauf hin, dass sie mit einem Abriss dieses Bauwerks keineswegs einverstanden sein könne und erinnerte daran, dass ihr die Einkünfte aus dem Brückenzoll noch für die nächsten 137 Jahre zustehen würden. Dies sei vertraglich fest zugesichert.
Mit einem Mal sah es für das Hasenthaler Fährunternehmen schlecht aus, sehr schlecht. Die Sitzung musste unterbrochen werden und die hohen Herren diskutierten in dem Hinterzimmer bis spät in die Nacht. Der städtische Kämmerer wurde gefragt, ob er denn von dieser Angelegenheit nichts gewusst hätte. Nein, sagte dieser wahrheitsgemäß, – das heißt, der frühere Oberbürgermeister habe gerne und oft davon erzählt, wie er die amerikanischen Geschäftspartner über den Tisch gezogen hätte, aber die Sache mit dem Brückenzoll habe er, der städtische Kämmerer, natürlich immer für eines der gelungenen Spässchen des leutseeligen Alten gehalten.
Der Thalbote berichtete über die neueste Entwicklung am nächsten Morgen unter der Überschrift: „Tunnellösung wird wieder wahrscheinlicher“
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222
Herr K. und die Brücke, VII
Die Dringlichkeitssitzung
Aus schierem Übermut hatten einige Jugendliche zwischen zwei großen Bäumen eine Slackline über den Bach gespannt. Nun übten sie sich, unter den kritischen Blicken der Spaziergänger, die von der kleinen Brücke aus belustigt zuschauten, im Balancieren. Wenn sie aus dem Gleichgewicht kamen, landeten sie im Gras, und der eine oder andere wäre fast in den Bach gestürzt.
Zum Skandal wurde das harmlose Vergnügen indessen durch den Bericht des Thalboten, der bei seinen Recherchen herausgefunden hatte, dass die gefährliche Sportanlage weder beim Amt für öffentliche Ordnung angemeldet gewesen war, noch war sie vom Technischen Überwachungsverein geprüft und abgenommen worden.
„Wer steckt hinter den gefährlichen Spielen im Hasenthal?“ lautete am nächsten Morgen die Überschrift. Und in dem Artikel wurde kritisch nachgefragt, warum am vergangenen Wochenende beispielsweise die Feuerwehr nicht vor Ort präsent war.
Vor dem Hintergrund dieser bedenklichen Mißstände beantragte Herr K. eine dringliche Sondersitzung des Gemeinderats. Wo kämen wir auch hin, wenn sich jeder nach Lust und Laune verhalten würde?
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223
Herr K. und die Brücke, VIII
Der Kompromiss
Die Gemeinderäte waren sich schnell einig. Einer Verfestigung der Situation musste entschieden entgegengewirkt werden. Wehret den Anfängen! Wo kämen wir hin, wenn überall kreuz und quer Slacklines gespannte werden würden? Als nächstes würden vermutlich Baumhäuser und bunte Zelte auftauchen, und das gesamte Tal würde in ein chaotisches Durcheinander verwandelt werden. Nicht auszudenken, wohin das führen könnte. Am Ende würden gar Touristen und Investoren ausbleiben.
Allerdings bildeten sich rasch zwei Gruppen, die unterschiedlicher Meinung waren:
die Tauben und die Falken.
Die Tauben waren der Meinung, dass die großen alten Bäume, zwischen denen Slacklines gespannt werden könnten, gefällt werden sollten, damit der gefährliche Unsinn endlich aufhören würde.
Die Falken waren der Meinung, man könne das Ensemble und die Schönheit des Tals am besten durch einen hohen Zaun und durch ein Betretungsverbot schützen.
Mit seiner verbindlichen Art, in der er es oft schaffte, unversöhnliche Gegensätze zu überbrücken, regte Herr K. einen Kompromiß an, mit dem alle gut leben konnten.
Und so kamen die Räte überein, die lästigen Bäume zu fällen und um die Brücke weiträumig einen großzügigen und stabilen Zaun zu errichten.
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224
Herr K. und die Brücke, IX
Der Wettbewerb
Es war die Idee eines Grundschullehrers gewesen, die aber von der städtischen Sparkasse großzügig unterstützt worden war: ein Wettbewerb über die Zukunft der Infrastruktur im Hasenthal. Heute war die Ausstellungseröffnung, auf der die Entwürfe von Schülern und von Studenten vorgestellt werden sollten, und Herr K. freute sich sehr darauf, weil bei solchen Wettbewerben immer wieder erstaunlich viele verschiedene Ideen zum Ausdruck kommen.
Es gibt eben für ein und die selbe Aufgabenstellung sehr viele verschiedene Lösungen.
Ja, manchmal gibt es sogar brillante Lösungen, bei denen es an nichts fehlt, außer eben an einem zu lösenden Problem.
Im Mittelpunkt stand also der Hasenbach und die Frage, wie dieser zu überqueren sei.
Verschiedene Teilnehmer des Wettbewerbs hatten sich mit einer Fährverbindung von Ufer zu Ufer beschäftigt, bei der es bekanntlich vor allem um die Frage ging, wie der Bach aufzustauen war, damit überhaupt genügend Wasser für einen Fährverkehr zur Verfügung stand.
Es gab verschiedene Varianten von Brücken: das Modell einer geschwungenen Holzbrücke, das Modell einer Hängebrücke, eine Eisenkonstruktion, die an den Eifelturm denken ließ und das Modell einer Betonbrücke, die den Charme einer Fabrikhalle imitierte.
Besonders originell war der „Peoples-Mover“: ein Aufzug für drei bis vier Personen, der auf der einen Seite des Bachs in einem Aufzugsturm nach oben fuhr, der hängend über eine Brücke glitt und auf der anderen Seite wiederum an einem Aufzugsturm nach unten fuhr:
sehr originell, aber ein wenig aufwendig.
Viel realistischer war eine elegante, auf und absteigende Rolltreppe.
Natürlich hatten sich einige Teilnehmer des Wettbewerbs an einer Tunnellösung versucht,
und ein kühner Architekturstudent hatte eine gewagte Sesselbahn entworfen. Sie erinnerte entfernt an eine Slackline.
Ein echter Witzbold hatte ein Modell der kleinen, bereits existierenden Brücke eingereicht; und Herr K. musste sich im Stillen eingestehen, dass dies eigentlich die Lösung war, die ihm am meisten zusagte.
Könnte es sein, fragte er sich, dass es manchmal das Beste wäre, die Dinge, über die man bereits verfügt, in sinnvoller Weise zu nutzen, anstatt etwas Gutes durch etwas Schlechteres zu ersetzen?
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225
Herr K. und die Brücke, X
Café Arendt
Er liebte dieses Café. Dort, im Café Arendt, trafen sich Künstler und Studenten, dort konnte man die Honoratioren und die filosofischen Köpfe der Stadt finden.
In den letzten Jahren hatte es dort viele interessante Vorträge und Diskussionen gegeben, an die Herr K. immer wieder gerne zurückdachte.
Bemerkenswert war beispielsweise der Vortrag zu dem Thema „Sein und Gscheit“ gewesen, in dem es um neuere Beiträge zur Theorie des Nationalsozialismus ging.
Außerordentlich interessant war auch ein Vortrag zu dem Thema „Mathematik und Demokratie“, der spannende Diskussionen ausgelöst hatte. Dabei ging es im Kern um die Frage, warum wir es in der Demokratie mit der Wahrheit nicht all zu genau nehmen dürfen.
Die heutige Diskussion drehte sich um das Thema „Rüstung und Krieg“. Ein prominenter Redner hatte ausgeführt, wie Rüstungsexporte helfen können, Arbeitsplätze zu schaffen, und Kriege zu vermeiden. Denn was könnte mehr zum Frieden beitragen, als lebendige Handelsbeziehungen? Und wofür steht auch in den ärmeren Ländern, wenn es an allen möglichen Dingen fehlt, immer noch genügend Geld zur Verfügung? Eben!
Es gab über diesen Vortrag eine heftige Diskussion, denn einige Zuhörer und Gesprächsteilnehmer waren noch gar zu sehr in veralteten pazifistischen Theorien verhaftet.
Bei dieser Diskussion hörte Herr K. zum ersten Mal von dem neuen Projekt, den Fährverkehr über den Hasenbach zu modernisieren, oder die Entwicklungsstufe des Fährverkehrs vielleicht sogar ganz zu überspringen. Ein begabter Ingenieur stellte nämlich mit kurzen Worten ein phantastisches Projekt vor: mit einem Kanal nach Upflamör könnten endlich auch im Hasenthal ideale Testbedingungen für U-Boote geschaffen werden.
Endlich ein Vorschlag, dachte Herr K., der Wege aus der technologischen Sackgasse weisen konnte: statt zwischen Seerosen und Lotosblüten gelangweilt auf der Oberfläche dahin zu stochern, könnte man unter Wasser flitzend große Entfernungen in Windeseile zurücklegen.
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226
Herr K. und die Brücke, XI
Die Neutralität
Herr K. setzte sich an den Frühstückstisch, schenkte sich Kaffee ein und schlug die Zeitung auf. Im Thalboten berichtete heute ein Lokalpolitiker, der ein halbes Leben lang, oder doch zumindest eine halbe Legislaturperiode lang, die Geschicke der Stadt Hasenthal entscheidend beeinflusst hatte, über seine guten Erfahrungen.
„Das Geheimnis des Erfolgs,“ schrieb er, „liegt in der strengen Beachtung der Neutralität und in einer großen Zurückhaltung.“
„Niemals habe ich zur Eile gedrängt,“ führte er weiter aus, „allenfalls habe ich die Leute angespornt. Ich habe beispielsweise gesagt: ´Ihr müsst das nicht tun, wenn Ihr das nicht wollt; es werden sich bestimmt genügend andere Leute finden, die das gerne machen.´
Selbst wenn Not am Mann war, habe ich niemanden gedrängt, sondern immer lieber selbst zugepackt, sozusagen selbst den Fehdehandschuh aufgenommen.“
„Auch bei der Atomkraft,“ berichtete er weiter, „habe ich auf strikte Neutralität geachtet. Natürlich habe ich klar gemacht, dass die Meiler weiter laufen müssen, und dass der strahlende Müll nicht in unserem Land bleiben darf. Aber wohin der Müll kommen sollte, das habe ich stets offen gelassen, in dieser Frage war ich immer ganz und gar neutral.“
„Ein kluger und bedächtiger Mann,“ dachte Herr K. „es müssen wohl andere gewesen sein, die Schärfe und Rücksichtslosigkeit ins Spiel gebracht haben“
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227
Der alte K. und das Meehr
Herr K. liebte das Meehr.
Er wußte selbst nicht recht warum.
Vielleicht lag es daran, dass es dort viel Meehrwasser gab,
viel meehr Wasser.
Am Anfang war dies nicht weiter tragisch.
Erst als er überall Meehr entdeckte,
fanden einige Nachbarn das komisch.
Und es wurde immer schlimmer.
Als Herr K. erzählte, dass im Keller meehr Platz war,
und dass man auf Reisen meehr Koffer benötige;
dass es komfortabler sei,
mit Meehrkoffern meehr Treppen zu steigen,
da hatten die Leute immer meehr das Gefühl,
dass da irgend etwas nicht stimmen konnte.
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228
Herr K. und die Demokratie
„Demokratie ist ein griechisches Wort,“ sagte Herr K., „es bedeutet ´Herrschaft des Volkes´.“
„Wie ist das zu verstehen?“ fragten die Leute.
„Nun,“ sagte Herr K. „in der Demokratie müssen sich die Entscheidungen rein nach den Mehrheiten richten.“
„Jetzt verstehen wir das,“ sagten die Leute, „dann muss sich die lupenreine Demokratie wahrscheinlich so sehr nach den Mehrheiten richten, dass aufmüpfige Internet-Seiten sich von selbst abschalten.“
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229
Herr K. und das unausweichliche Ende
„Bei diesem Projekt,“ sagte Herr K., „ist viel Geld mit im Spiel“.
„Das wissen wir wohl,“ sagten die Leute, „es geht um sehr viel Geld“.
„Glaubt Ihr etwa,“ fragte Herr K., „dass Ihr ein Projekt, bei dem es um so viel Geld geht, noch stoppen könnt?“
„Wenn es nur um sehr viel Geld gehen würde,“ antworteten die Leute, „dann könnten wir es nicht stoppen. Aber es geht nicht nur um sehr viel Geld.“
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230
Herr K. liest Twitter
Gestern hatte Herr K. auf Twitter gelesen, dass die türkische Regierung an der Schwarzmeer-Küste neue Atomkraftwerke bauen lassen möchte.
Heute las Herr K. auf Twitter, dass die türkische Regierung in der Türkei Twitter vom Netz genommen hat.
„Wenn es Twitter in der Türkei gar nicht mehr gibt,“ fragte sich Herr K., „wozu braucht die Türkei dann neue Atomkraftwerke?“
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231
Herr K. und die Festung
Bei einer Bahnfahrt von Peking nach Shenyang hatte Herr K. das Glück, dass er die Große Mauer sehen konnte, wie sie sich von den Bergen zu dem Gelben Meer hinunterschlängelt. „Dort, wo die Mauer auf das Ufer trifft“, erklärte sein chinesischer Übersetzer, „dort befindet sich ´Shan-Hai-Guan`: der ´Pass zwischen den Bergen und dem Meer`.“
„Diese Stelle war früher sicherlich besonders abgesichert“, mutmaßte Herr K..
„Ja, es gab dort eine uneinnehmbare Festung“, sagte sein Begleiter, „aber nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein Kommandant die Tore für die Eindringlinge aus dem Norden öffnen ließ. Damit hat er – für viele Generationen – die Geschicke seines Landes beeinflusst.“
„Das klingt nach einem großen Verrat“, sagte Herr K..
„Oh ja“, sagte sein Begleiter, „hier hat sich gezeigt, dass manchmal die Entscheidung eines Einzelnen sehr langfristige Auswirkungen haben kann. Manchmal kann ein einziger Schritt blitzartig den Lauf der Dinge verändern.“
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232
Herr K. und das Recht, III
„Wir werden dem Recht mit aller Macht zum Durchbruch verhelfen,“ sagte Herr K..
“Das ist schwierig,“ sagten einige, „denn wer dem Recht und der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen möchte, der muss die Wahrheit suchen und die Macht meiden.“
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233
Herr K. und die Gegner
„Nur noch wenige stemmen sich gegen das Projekt,“ sagte Herr K..
„Eigentlich fast nur noch die Wirtschaftlichkeit und die Wahrheit,“ sagten die Leute.
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234
Herr K. und die Verteidigung
„Wir werden mit Verratsvorwürfen überhäuft.“, sagte Herr K..
„Das ist bitter,“ sagten die Leute.
„In einer Demokratie, sollte man mit Vorwürfen vorsichtig sein.“
„Vorwürfe vergiften die Gesprächsatmosphäre.“
„Wir sollten sagen, wie es ist:
sie haben ihre Wähler nicht verraten, sondern sie interpretieren ihre Wahlversprechen jetzt nur ein bisschen anders.“
„Sie haben nicht gelogen, sondern sie sind nur ein bisschen von der Wahrheit abgerückt.“
„Die Energiewende haben sie nicht aufgegeben, sondern sie nehmen das Energiesparen jetzt nur nicht mehr so wichtig.“
„An dem Kostendeckel halten sie fest, egal wie viel Geld im Boden versickert.“
„Sollten sie etwa, weil das Bad Cannstatter Mineralwasser ein kleines bisschen gefährdet ist, von dem hervorragenden Programm zur Rettung ihrer Pfründe abrücken?“
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235
Herr K. und die Mafia
Herr K. erzählte, dass er vor Jahren gelesen hatte, dass es in Italien Bauprojekte gab, an denen seit Jahren gebaut wurde, die Unsummen von Geld verschlangen, und die, weil die Mafia die Finger im Spiel hatte, doch niemals fertig wurden.
Beispielsweise gab es da ein Krankenhaus, das längst hätte fertig gebaut sein sollen, und außerhalb von Italien verstand wohl niemand, warum so lange daran gebaut und gebaut wurde, und warum es anscheinend niemals fertig wurde.
„Das ist eine sehr merkwürdige Geschichte,“ sagten die Leute, „warum kommt uns diese Geschichte so merkwürdig vertraut vor?“
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236
Herr K. und die Verbesserung
„Die Zusammenarbeit der Bahn mit der Regierung ist viel besser geworden,“
sagte Herr K.
„Oh, das ist schlecht,“ sagten die Leute, „denn es bedeutet, dass wir
noch mehr bezahlen müssen.“
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237
Herr K. und der Ausschuss
Für diesen Untersuchungsausschuss können wir uns nicht einsetzen,“
sagte Herr K., „denn es fehlt eine seriöse Fragestellung.“
„Diesen Ausschuss in Frage zu stellen,“ sagten die Leute,
„das ist das nicht seriös.“
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238
Herr K. und die Wahlen
„Wahlen und Abstimmungen sind eine gute Sache,“ sagte Herr K.,
„sie sind der Kern der Demokratie.“
„Es ist nur merkwürdig,“ sagten die Leute, „dass die Kosten
von großen Projekten nach Wahlen gerne plötzlich in die Höhe
schnellen; und dass sich die Bauzeiten von Projekten, die
partout nicht fertig werden möchten, nach den Wahlen plötzlich
nochmals verlängern. Die Wahlen müssen wohl schuld daran sein.“
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239
Herr K. und der Niedergang
„Es ist schade,“ sagte Herr K., „diese Partei befindet sich im Niedergang,
weil sie immer weniger Stimmen bekommt.“
„Aber nein,“ sagten die Leute, „es ist gut,
denn diese Partei bekommt immer weniger Stimmen,
weil sie sich im Niedergang befindet.“
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240
Herr K. und die Rostbrühe
„Einige Leute haben Wasserproben aus einer Anlage für ein Grundwassermanagement entnommen,“ sagte Herr K., „das war illegal.“
„Interessant,“ sagten die Leute, „sie haben die Wahrheit ans Licht gebracht und werden jetzt dafür kritisiert. Warum fürchten sich manche so sehr vor der Wahrheit?“
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241
Herr K. und der Fehler, den wir nicht machen müssen
„Dieses Projekt ist teuer und riskant,“ sagte Herr K., „aber die Wähler haben entschieden, dass es trotzdem durchgeführt werden soll.“
„Das ist sehr lange her,“ sagten die Leute, „inzwischen wissen wir, dass wir belogen worden sind. Das Projekt ist nicht nur teuer und nutzlos, sondern es ist darüber hinaus auch noch dumm und schädlich. Deshalb muss dieses Projekt gestoppt werden.“
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242
Herr K. und die politische Philosophie
„Von Hannah Arendt kann man viel lernen,“ sagte Herr K.
„Oh ja,“ sagte einer seiner Gesprächspartner, „sie ist bedeutend, weil sie die Wahrheit über alles geschätzt hat.“
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243
Herr K. und das Schnäppchen
„Es ist ein Schnäppchen,“ sagte Herr K.
„Fragt sich nur für wen,“ sagten die Leute.
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244
Herr K. und der Mond
„Dass der Mond da ist, wenn wir ihn sehen, das versteht jedes Kind,“ sagte Herr K. „aber ob der Mond auch dann da ist, wenn gerade zufällig niemand kuckt, das ist eine alte hoch-philosophische Frage.“
„Die Frage ist aber nicht, ob jemand kuckt,“ sagten die Leute, „die Frage ist, wer kuckt. Wenn beispielsweise die Ingenieure kucken, dann ist das Wasser rostig. Und wenn der Bürgermeister nachschaut, dann ist es klar. Wenn dann aber ein Lastwagenfahrer versehentlich einige der Rohre demoliert, dann tritt plötzlich wieder eine dunkelbraune Rostbrühe aus.“
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245
Herr K. und die Sicherheit
„Die neuen Handys sind abhörsichersicher,“ sagte Herr K..
„Ja, ja,“ sagten die Leute, „sie werden mit Sicherheit abgehört.“
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246
Herr K. und die großartige Ingenieurskunst
„Die große Kunst unserer Ingenieure,“ sagte Herr K. „wird dieses Projekt zustandebringen.“
„Aber nein,“ sagten die Leute, „Dieses großartige Projekt kommt durch Korruption, Rechtsbruch und Machtmissbrauch zustande.“
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247
Herr K. und die Politik des Wegsehens
„Unsere Behörden sind neutral,“ sagte Herr K..
„Natürlich sind sie neutral,“ sagten die Leute, „aber leider sie sind auf einem Auge blind.“
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248
Herr K. und der nicht endende Protest
„Stuttgart 21 kommt zwar langsamer als geplant voran,“ sagte Herr K., „aber Ihr konntet das Projekt nicht stoppen. Deshalb machen weitere Demonstrationen keinen Sinn.“
„Wir konnten auch Fukushima nicht verhindern,“ sagten die Leute, „waren deshalb unsere Proteste gegen Atomkraftwerke weniger berechtigt?“
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249
Herr K. und der unbezweifelbare Erfolg
„Wir sind keine Marktschreier,“ sagte Herr K., „unsere Politik der kritischen Begleitung setzen wir im Stillen sehr wirkungsvoll um.“
„Fürwahr,“ sagten die Leute, „auf dem Gebiet des Lärmschutzes beispielsweise, haben sie schon sehr große Erfolge errungen. Von dem Oberbürgermeister ist sogar schon fast gar nichts mehr zu hören.“
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Herr K. und die Träume
„Manchmal gleicht ein Traum einem Luftballon,“ sagte Herr K., „der von einer Nadelspitze getroffen wird und zerplatzt.“
„Manchmal scheinen Träume aber gleich mehrmals zu zerplatzen,“ sagten die Leute, „sie gleichen Zwiebeln, die mehrere Häute haben. Sie sehen schon ganz vertrocknet aus, aber plötzlich treiben sie neu.“
„Wenn ein Traum auf die Realität trifft,“ sagte Herr K., „dann zerplatzt er wie eine Seifenblase.“
„Wenn die Realität auf einen Traum trifft,“ sagten die Leute, „dann könnte es sein, dass sie sich weinend davonschleichen muß.“
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251
Herr K. und Grasenien
Repräsentanten kommen und Repräsentanten gehen. Deshalb war es in Europa kaum zur Kenntnis genommen worden, als im fernen Grasenien vor einigen Jahren ein Regierungswechsel stattgefunden hatte, zumal sich die Politik des fernen Landes nicht merklich geändert hatte.
Als jedoch Herr K. in Grasenien eintraf, merkte er schnell, dass sich die Diskussionen dort immer noch um den Machtwechsel drehten, und dass die Leute kaum ein anderes Gesprächsthema kannten, als den Wechsel an der Spitze der Regierung ihres Landes.
Die wichtigen Themen, Krieg und Frieden, die Energiewende, der Klimawandel oder beispielsweise die Gefährdung der Gelbbauchunke, kamen in den Medien, in Zeitungen, in Funk und Fernsehen kaum je vor.
Alle Gespräche drehten sich auch jetzt noch um den gewalttätigen, korrupten Machthaber, der hatte abtreten müssen, und um den smarten Nachfolger, der nun mit wortgewandten Reden die neue Politik begleitete, die von der alten kaum zu unterscheiden war.
„Gut dass wir den alten Rambo losgeworden sind,“ sagten die einen.
„Die neuen Machthaber sind noch schlimmer,“ sagten die anderen.
„Früher konnten wir uns wenigstens noch zur Wehr setzen,“ sagten sie,
„von den Neuen werden wir so eingeseift, dass uns selbst der Protest entgleitet.“
„Gewalt geht gar nicht,“ sagten die einen.
„Gefährlicher als die plumpe Lüge.“ argumentierten die anderen, „ist die halbe Wahrheit.“
„Warum streiten sich die Leute so erbittert?“ fragte sich Herr K.
„könnte es nicht sein, dass beide Seiten recht haben?“
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252
Herr K. und das Sommermärchen
Als Herr K. erfuhr, dass ein groß angekündigtes Bagger-Ballett abgesagt werden musste, bedauerte er das sehr.
„Schade,“ sagte er, „dass sie nicht mehr zustande bringen, als ein Bagger-Märchen.“
„Sie möchten das Stück gar nicht aufführen,“ sagten die Leute, „sie möchten nur unsere Eintrittsgelder abkassieren.“
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253
Herr K. und die Veränderung
Auf einer seiner Wanderungen über die Schwäbische Alb kam Herr K. mit einem alten Schäfer ins Gespräch.
„Ich beneide Sie ein wenig,“ sagte Herr K., „denn in Ihrem Beruf können Sie viel im Freien sein. – Andererseits,“ fügte er hinzu, „andererseits bewundere ich Sie fast ein bisschen, denn Sie müssen es ja aushalten, bei jedem Wetter draußen zu sein.“
„Ach, es ist nicht das Wetter,“ antwortete der Schäfer, „das mir in letzter Zeit verstärkt zu schaffen macht, es ist das viele Nachdenken.“
„Aber über was denken Sie denn nach?“ fragte Herr K. „Wie kann es sein, dass Sie in dieser schönen Landschaft so sehr ins Grübeln kommen?“
„Ich frage mich,“ sagte der Alte, „ob man seine Meinung ändern darf.“
„Aber natürlich,“ rief Herr K. „natürlich darf man seine Meinungen ändern. Der Fortschritt und die Wissenschaft schreiten voran, und wir alle müssen mitziehen. Es wäre völlig verfehlt, wenn wir an unseren überholten Meinungen und Vorurteilen festhalten würden.“
„Ja, natürlich,“ meinte der alte Schäfer, „damit haben Sie natürlich recht. Ich habe viele Dinge gelernt, von denen ich heute weiß, dass sie längst überholt sind. Das Problem sind nicht die Fehler der Vergangenheit, die wir erkennen und korrigieren können. Es geht um etwas anderes; zum Beispiel um die schönen Dinge, die wir erhalten sollten; und um die wertvollen Dinge, an denen wir festhalten sollten.“
Herr K. schwieg für einen Moment.
„Ich habe von einem jungen Mann gehört,“ ergänzte der Schäfer, „der wirklich viel erkannt hatte, und der dies in klaren und verständlichen Worten ausdrücken konnte. Dieser junge Mann rennt nun dem Fortschritt hinterher und erzählt dummes Zeug. Jetzt habe ich plötzlich das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen wegbricht.“
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254
Herr K. und der schlimmste Fall,
I
Die Genehmigungen
„Es fehlen aber noch viele Genehmigungen,“ sagten die Leute.
„Ja, das stimmt,“ antwortete Herr K. „im schlimmsten Fall wird es noch eine ganze Weile dauern, bis alle Genehmigungen erteilt sein werden.“
„Oh nein!“ sagten die Leute, „das wäre wirklich der schlimmste Fall, wenn alle Genehmigungen erteilt werden würden.“
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255
Herr K. und der schlimmste Fall,
II
Die Kosten
„Das Projekt wird immer teurer,“ sagten die Leute.
„Ja, das stimmt,“ antwortete Herr K. „im schlimmsten Fall können die Kosten nicht mehr aufgebracht werden.“
„Oh nein!“ sagten die Leute, „der schlimmste Fall wäre es, wenn die steigenden Kosten aufgebracht werden könnten.“
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256
Herr K. und der schlimmste Fall,
III
Zeitverzug
„Dieses großkotzige Projekt kommt nicht recht voran,“ sagten die Leute.
„Ja, das stimmt,“ antwortete Herr K. „bei diesem Großprojekt ist es schon zu mehreren Jahren Zeitverzug gekommen. Im schlimmsten Fall wird das Projekt erst nach 2025 fertig werden.“
„Oh nein!“ sagten die Leute, „das wäre nun wirklich nicht der schlimmste Fall. Vielmehr wird dieses Projekt im besten Fall irgendwann nach 2025 fertiggestellt werden.“
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257
Herr K. und der schlimmste Fall,
IV
Das Mineralwasser
„Wir fürchten um das Mineralwasser,“ sagten die Leute.
„Das ist nicht ganz falsch,“ antwortete Herr K. „im schlimmsten Fall wird der Bau des aufwendigen Großprojekts zu einer Beeinträchtigung des Mineralwassers führen.“
„Oh nein!“ sagten die Leute, „im schlimmsten Fall verlieren wir das Mineralwasser, ohne dass dieses widersinnige Projekt jemals fertiggebaut werden kann.“
„Noch schlimmer wäre es,“ sagten einige, „wenn weitergebaut werden sollte, obwohl wir das Mineralwasser bereits verloren haben werden.“
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258
Herr K. und der schlimmste Fall,
V
Die Blickrichtung
„Das Schlimmste wäre es,“ sagte Herr K. „wenn wir uns nur mit den Fehlern der Vergangenheit aufhalten würden, anstatt nach vorne zu schauen.“
„Wo er recht hat, hat er recht,“ sagten die Leute.
„Wir müssen an die Zukunft denken und nach vorne schauen.“
„Wenn wir an unsere Kinder denken, dann müssen wir einsehen, dass die Natur nicht sinnlos zerstört werden darf,“ sagten sie.
„Wir sind schon viel zu weit in die falsche Richtung gegangen, es ist an der Zeit, unsinnige und nutzlose Großprojekte zu stoppen.“
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259
Herr K. und der schlimmste Fall,
VI
Der Irrtum
„Es ist schlimm, sich zu irren,“ sagte Herr K. „aber am schlimmsten ist es, wenn jemand an einem Irrtum festhält, obwohl dieser längst widerlegt worden ist.“
„Natürlich sollte man nicht verbissen an einem Irrtum festhalten,“ sagten die Leute, „aber irren ist menschlich. Deshalb ist es keine Schande, sich einmal zu irren.“
„Wenn aber jemand die Wahrheit längst erkannt hat,“ sagten sie, „und wenn er sich dann auf die Seite der Lügner schlägt, das ist wirklich eine große Schande.“
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260
Herr K. und der schlimmste Fall,
VII
Brandschutz
„Im schlimmsten Fall,“ sagte Herr K. „könnte der Bau
wegen der strengen Brandschutzvorschriften
nicht in Betrieb genommen werden.“
„Aber nein,“ sagten die Leute,
„das wäre wirklich nicht der schlimmste Fall.“
„Viel schlimmer wäre es,“ sagten sie,
„wenn wegen der mangelhaften Brandschutzvorkehrungen
Menschen zu Schaden kämen.“
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261
Herr K. und der schlimmste Fall,
VIII
Die Leistungsfähigkeit
„Im schlimmsten Fall,“ sagte Herr K. „wird der geplante Tiefbahnhof weniger leisten, als der alte Kopfbahnhof.“
„Ja, das stimmt,“ sagten die Leute, „und leider wird dies auch im besten Fall so sein.“
„Es hat schließlich seine Gründe,“ sagten sie, „dass wir nach wie vor gegen dieses widersinnige und widerrechtlich vorangetriebene Projekt sind.“
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262
Herr K. und der schlimmste Fall,
IX
Die Vernunft
„Im schlimmsten Fall,“ sagte Herr K., „im schlimmsten Fall ist die Vernunft zu müde und zu schwach, um weiterzukämpfen.“
„In diesem Fall,“ sagten die Leute, „in diesem Fall ähnelt sie all zu sehr der Unvernunft.“
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263
Herr K. und der schlimmste Fall,
X
Reisekomfort
„In einem Kopfbahnhof kann man jedes Gleis eben-erdig erreichen,“ sagten die Leute, „das ist lange nicht so unangenehm, wie wenn man mit schwerem Gepäck Trepp-auf und Trepp-ab hetzen muss.“
„Das stimmt,“ sagte Herr K., „deshalb wählen viele Leute Zugverbindungen, bei denen man möglichst selten umsteigen muss.“
„Wenn sich der Komfort, den die Bahn den Fahrgästen bietet, weiterhin verschlechtert,“ sagten die Leute, „dann werden viele Reisende nur noch einmal umsteigen, und zwar vom Zug auf das Auto.“
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264
Herr K. und der schlimmste Fall,
XI
Der Zeitgewinn
„Im schlimmsten Fall,“ sagte Herr K., „bringt der kundenunfreundliche Tiefbahnhof nur minimale Zeitersparnisse.“
„Oh nein,“ sagten die Leute, „minimale Zeitersparnisse würde der kundenunfreundliche Schiefbahnhof allenfalls im besten Fall erbringen.“
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265
Herr K. und der schlimmste Fall,
XII
Der alte Schuh
„Wieso kaufen Sie einen alten Schuh,“ wurde Herr K. gefragt.
„Wie bitte?“ antwortete Herr K., „das habe ich wohl nicht richtig verstanden?“
„Wir verstehen das auch nicht richtig,“ antworteten die Leute,
„wegen dem großen Fußabdruck.“
Herr K. musste lachen: „Sie meinen wohl ich würde auf zu großem Fuße leben?“
„Ja,“ sagten die Leute, „ein alter Schuh macht doch einen viel zu großen Fußabdruck.“
„Ich verstehe nicht,“ sagte Herr K., „was Sie immer mit einem alten Schuh haben.“
„Wir möchten gerne wissen,“ sagten die Leute, „warum Sie einen alten Schuh kaufen möchten.“
„Aber welchen alten Schuh?“ fragte Herr K..
„Ach so,“ sagten die Leute, „Sie haben nicht gehört, wovon wir die ganze Zeit gesprochen haben. Es ging um Wärme. Wenn man es im Winter warm haben möchte, dann darf man nicht mit löchrigen Schuhen herumlaufen. Aber wenn man neue Schuhe kauft, dann vergrößert das den ökologischen Fußabdruck.“
„Ah, jetzt verstehe ich,“ sagte Herr K., „Sie diskutieren über den Ausstoß von Kohlendioxid und den Klimawandel.“
„Genau,“ sagten die Leute, „das haben Sie schön formuliert, genau das war es, worüber wir gesprochen hatten.“
„Wenn man ein neues Haus baut,“ sagte Herr K., „dann benötigt man viel Stahl und Beton und es wird viel Energie verbraucht. Das lässt sich nicht vermeiden. Aber deshalb haben wir die Bauvorschriften geändert. Das neue Haus wird im besten Fall später viel weniger Energie benötigen, als ein Altbau; und deshalb gleicht es einem modernen Schuh, der einen immer kleiner werdenden ökologischen Fußabdruck verursacht.“
„Sehen Sie,“ sagten die Leute, „genau danach wollten wir fragen.
Wir haben gehört, dass ein Zug, der durch einen Tunnel fährt, mehr Energie verbraucht, als wenn er oben fahren würde. Ein Tunnel gleicht also einem löchrigen alten Schuh, der den Fuß nicht wärmt, aber einen immer größer werdenden Fußabdruck verursacht. Und nun erklären Sie uns doch bitte einmal, warum Sie diesen alten Schuh unbedingt kaufen möchten!“
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266
Herr K. und die Kunst des Wegsehens
„Lügen haben kurze Beine,“ sagte Herr K..
„Das stimmt,“ sagten die Leute, „um so merkwürdiger ist es,
dass sich manche Lügen so zählebig halten.“
„Könnte es sein,“ fragten sie, „dass manche Lügen besonders nützlich sind?“
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267
Herr K. und die Dinge des Lebens
„Eigentlich benötigen wir nur wenige Dinge,“ sagte jemand.
„Das ist wahr,“ sagte Herr K., „auf vieles kann man verzichten.“
„Wer beispielsweise eine Baugrube ausheben möchte,“ sagte jener, „benötigt eigentlich nur drei Dinge.“
„Meinen Sie Bagger, Lastwagen und Baustraßen?“ fragte einer.
„Auf Baustraßen kann man verzichten,“ sagte Herr K..
„Wer eine tiefe Baugrube ausheben möchte,“ warf ein anderer ein, „benötigt faustdicke Lügen, Wasserwerfer und eine willfährige Staatsanwaltschaft.“
„Auf Wasserwerfer kann man verzichten,“ sagte Herr K..
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268
Herr K. und der Flughafen
„Berlin braucht einen neuen Flughafen!“ sagte Herr K..
„Das glauben wir nicht,“ sagten die Leute.
„Wir sind oft nach Berlin gereist,“ sagten sie, „mit der Bahn und mit dem Bus, mit dem Auto und mit dem Flugzeug. Wenn man einmal davon absieht, dass die Bahn früher zuverlässiger gefahren ist, dann gab es – außer vielleicht mit den lästigen Grenzkontrollen zur Zeit der DDR – dabei niemals ein Problem.“
„Aber Berlin baut einen neuen Flughafen,“ sagte Herr K..
„Das ist nicht wahr,“ sagten die Leute. „Nichts ist einfacher, als einen neuen Flughafen zu bauen. Man braucht dazu nicht viel mehr als eine Start- und Landebahn, vielleicht noch eine Gepäckhalle und eine Garage für die Feuerwehr. Würde in Berlin der größte Flughafen der Welt gebaut werden, dann wäre er längst fertig.“
„Warum baut Berlin dann so lange an dem neuen Flughafen?“ fragte Herr K..
„Das liegt daran,“ sagten die Leute, „dass es dort gar nicht um einen Flughafen geht.“
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269
Herr K., der Bischof und der Bürgermeister
„Ein bekannter Bischof musste gehen,“ sagte Herr K., „weil er sich eine luxuriöse Villa gebaut hat.“
„Er hat zu viel Geld verschwendet,“ sagten die Leute, „vielleicht hätte er weniger an sich selbst und mehr an andere denken sollen.“
„Ein beliebter Bürgermeister wird zurücktreten,“ sagte Herr K., „weil er einen großen Flughafen zu aufwendig hat bauen lassen.“
„Ein Flughafen kann nützlich sein,“ sagten die Leute, „aber vielleicht wäre es besser gewesen, maßvoller zu planen.“
„Großprojekte sind oft schwierig und umstritten,“ sagte Herr K., „deshalb haben wir Mehrheiten gesucht und gefunden.“
„Wenn viele dagegen sind,“ sagten die Leute, „darf man manche Dinge einfach nicht zulassen. Manchmal genügen knappe Mehrheiten nicht, denn auch Minderheiten müssen respektiert werden. Wenn sich gar herausstellt, dass sehr aufwendige Projekte keinen Nutzen bringen,“ sagten sie, „dann, spätestens dann, muss man sie nochmals überdenken.“
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270
Herr K. und der Zucker.
Herr K. saß im Speisewagen, nippte an seinem Bier und las in einem seiner Lieblingsbücher mit dem Titel: „Durch Weglassen hinzugewinnen“. Es war eine Abhandlung über modernes Management in Zeiten explodierender Baukosten und davongaloppierender Bauzeiten.
Ein distinguierter Herr in einem eleganten Anzug fragte höflich, ob er sich an den freien Platz an dem Tisch hinzusetzen dürfe. Herr K. blickte auf. Der Speisewagen hatte sich gefüllt, anscheinend waren viele Reisende unterwegs.
„Gerne!“ sagte Herr K. und wandte sich wieder seiner Lektüre zu.
Der vornehme Herr, wahrscheinlich war es ein Chinese, bestellte sich einen grünen Tee, der wenig später gebracht wurde.
„Darf ich sie etwas fragen,“ wandte sich der ausländische Gast an Herrn K. und zeigte auf zwei kleine Papierbeutel mit Zucker: „Was ist denn das?“
„Das ist Zucker,“ sagte Herr K..
„Ach so,“ antwortete der neue Tischnachbar, „das ist Zucker. Und was macht man damit?“
„Den können Sie in den Tee schütten und trinken,“ sagte Herr K..
„Tee mit Zucker?“ fragte der Chinese erstaunt, „machen Sie das wie die Russen?“
„Ja trinkt man in Ihrem Land den Tee denn ohne Zucker?“ fragte Herr K. zurück.
„Ja,“ sagte der Chinese, und erzählte, dass er nur einmal, in seiner Jugend, Tee mit Zucker erlebt hätte. Das sei gewesen, als er, noch zur Zeit der Sowjetunion, durch Russland gereist sei. Damals, musste in der transsibirischen Eisenbahn nicht der Tee, sondern nur der Zucker bezahlt werden; ohne den man den Tee allerdings nicht bekommen konnte.
Er musste lachen. „Wenn die Chinesen ihren Tee mit Zucker trinken würden, dann würden pro Tag mindestens tausend Tonnen Zucker benötigt werden. Das wäre eine Lastwagenkolonne mit fast einem Kilometer Länge. Für einen Jahresbedarf wäre die Lastwagenkolonne gut 300 Kilometer lang.“
„Das könnte hinkommen,“ mischte sich ein Herr vom Nachbartisch in das Gespräch ein, „und nun stellen Sie sich bitte einmal vor, wie lange eine Lastwagenkolonne wäre, die fünfhunderttausend Tonnen Erdaushub transportiert. Das wäre eine Kolonne ungefähr von München bis Köln oder von Stuttgart nach Hannover.“
„Ja,“ sagte der Chinese. „Deutschland und China sind sich sehr ähnlich, „die Chinesen trinken den Tee ohne Zucker, und die Deutschen schütten auch keinen Zucker in ihr Bier. Vielleicht ist das so, weil sie die Lastwagen für andere Dinge benötigen.“
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271
Herr K. und die Geographie
„Stellen Sie sich vor,“ sagte ein eifriger Zeitungsleser, „die kanadische Regierung hat gemeldet, dass ein kanadisches Kriegsschiff von einem russischen Flugzeug provoziert worden sei!“
„Wo sollte das denn gewesen sein,“ fragte Herr K. „im Pazifik oder im Atlantik?“
„Es wurde gesagt,“ antwortete der wohlinformierte Leser, „es sei im Schwarzen Meer gewesen.“
„Oh,“ sagte Herr K. „das klingt aber gefährlich.“
„Ja,“ sagten die Leute, „das klingt brandgefährlich.“
„Man könnte meinen,“ sagten sie, „dass die kanadische Flotte über noch weniger geographische Kenntnisse verfügt, als die russischen Truppenverbände, die sich in die Ukraine verirrt hatten.“
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272
Herr K. und die Argumente
„Früher war ich auch gegen das große Projekt,“ sagte Herr K., „weil es hohe Kosten verursacht und gravierende Nachteile mit sich bringt. Aber ich habe eingesehen, dass es auch schlagende Argumente gibt, die für das Projekt sprechen.“
„Ja, schlagende Argumente fürwahr,“ sagten die Leute,
„beispielsweise Wasserwerfer, Tränengas und prügelnde Polizisten.“
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273
Herr K. und die Erinnerung
Als Herr K. die Tür zumachte und auf die Straße hinaustrat, kam ihm ein Mann entgegen, der ihn freundlich grüßte.
“Guten Tag!“ sagte Herr K. etwas überrascht.
„Ja, ich wünsche Ihnen auch einen guten Tag!“ sagte der Mann. „Wissen Sie, ich komme gerade von meinem Schumacher. Meine Schuhe sind jetzt repariert und haben neue Absätze und neue Sohlen. Das war nicht ganz billig, aber das ist es mir wert.“
“Ja, schon,“ sagte Herr K., „und warum erzählen Sie das mir?“
„Finden Sie nicht, dass das eine Frage des Anstandes ist?“ fragte der fremde Mann, „wir wollen doch fair miteinander umgehen!“
„Ja freilich,“ sagte Herr K., „aber was hat das mit den Schuhen zu tun?“
„Was das mit den Schuhen zu tun hat?“ fragte der Mann erstaunt. „Es ist doch wichtig, dass die hohen Herren, die uns großartige Versprechungen gemacht haben,
von Zeit zu Zeit daran erinnert werden, dass sie uns nicht loswerden; jedenfalls nicht, so lange es noch hervorragende Schuhmacher gibt.“
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274
Herr K. und das Vertrauen
„Ist Vertrauen nicht ein hohes Gut?“ fragten die Leute.
„Aber natürlich,“ sagte Herr K., „deshalb werben alle Parteien um das Vertrauen der Wähler.“
„Und worauf sollten die Wähler vertrauen?“ fragten die Leute.
„Nun,“ sagte Herr K., „die Wähler sollen darauf vertrauen, dass die Politiker die Interessen der Wähler gut vertreten.“
„Wie sollen die Politiker das denn machen?“ fragten die Leute.
„Ja nun,“ sagte Herr K., „die Politiker müssen sich darum bemühen, in einem fairen Verfahren die besten Lösungen zu finden.“
„Was ist damit gemeint?“ fragten die Leute, „was soll das sein, ein faires Verfahren?“
„Das ist ganz einfach,“ sagte Herr K., „ein faires Verfahren, das ist, wie das Wort schon sagt, ein anständiges und gerechtes Verfahren.“
„Heißt das,“ fragten die Leute, „dass Politiker anständige Leute sein müssen?“
„Nun ja,“ schmunzelte Herr K., „Politiker sind auch keine Heiligen. Deshalb gibt es ja die Gewaltenteilung, Kontrollen, Prüfungen, Wahlen und Abstimmungen.“
„Heißt das,“ fragten die Leute, „dass Wahlen und Abstimmungen dafür sorgen, dass sich anständige Leute und anständige Lösungen durchsetzen?“
„Sie sind aber hartnäckig,“ sagte Herr K.. „Wir alle wissen, dass in der Demokratie die Mehrheiten zählen, und nicht die Wahrheiten.“
„Worauf sollen wir denn dann vertrauen?,“ fragten die Leute, „auf Mehrheiten ist kein Verlass, denn Mehrheiten sind wankelmütig.“
„Wer sich nur auf Mehrheiten stützt und die Wahrheit vernachlässigt,“ sagten sie, „dem wollen wir nicht vertrauen, denn er wird bald auch die Mehrheiten verlieren.“
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275
Herr K. und die Drohnen
Als Herr K. zu der Bushaltestelle kam, traf er dort einen seiner Nachbarn, den er lange nicht gesehen hatte. Der blickte von seiner Zeitung auf, und die beiden begrüßten sich erfreut.
„Wie geht’s denn so?“ fragte Herr K..
„Danke der Nachfrage,“ antwortete der Nachbar.
„Und was gibt es Neues?“ fragte Herr K..
„Wir brauchen dringen Drohnen!“ sagte der Nachbar.
„Aber Sie sind doch sonst ein so friedlicher Mensch,“ lachte Herr K.,
„warum meinen Sie denn jetzt plötzlich, dass wir Drohnen brauchen?“
„Ich habe eben gelesen,“ sagte der Nachbar, „dass die Hälfte unserer Marine-Hubschrauber nicht flugbereit sind.“
„Und was hat das mit den Drohnen zu tun?“ fragte Herr K..
„Die Drohnen fliegen auch nicht,“ sagte der Nachbar, „aber mit Drohnen, die nicht fliegen, kann man prima davon ablenken, dass die Hubschrauber nicht fliegen.“
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276
Herr K. und der Aufzug
„Ein Zug gleicht einem Aufzug,“ sagte Herr K..
„Wie meinen Sie denn das?“ fragten die Leute.
„Nun, das ist vielleicht ein bisschen abstrakt,“ sagte Herr K.,
„aber wenn man einmal davon absieht, dass ein Zug in der Waagrechten weite Strecken zurücklegt, dann bleibt doch immer noch eine Bewegung von unten nach oben, und von oben nach unten: beispielsweise vom Meer bis in die Alpen, oder vom Hochschwarzwald hinunter nach Freiburg. Von null auf tausend Meter, sozusagen, und von großer Höhe wieder hinunter auf das flache Land.“
„Ja,“ sagten die Leute, „so könnte man es sehen, obgleich das schon ein bisschen abgehoben ist.“
„Ich habe gehört,“ sagte einer, „dass man in manchen Ländern Tunnels baut, damit die Eisenbahn nicht so hoch hinauf fahren muss.“
„Und ich habe gehört,“ sagte ein anderer, „dass es ein Land geben soll, in dem eine neue Tunnelstrecke für die Bahn gebaut wird, auf der die Züge sogar noch höher hinauf fahren, als auf der alten Strecke.“
„Kann man wenigstens oben aussteigen?“ fragte einer.
„Davon habe ich nichts gehört,“ bekam er zur Antwort. „Aber wir fragen uns, warum sie, statt einem Aufzug für Züge, nicht einfach gleich ein Karussell bauen.“
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277
Herr K. und das Riesenrad
„Ein Zug gleicht einem Riesenrad,“ sagte Herr K..
„Sie sind mir einer!“ sagte seine Nachbarin, „gestern haben Sie die Züge
noch mit Aufzügen verglichen! Sie und Ihre Vergleiche, ich bitte Sie!“
„Sie dürfen das nicht falsch verstehen,“ sagte Herr K. „ich kann Ihnen
das erklären: Ein Zug bewegt sich waagrecht hin und her, wie ein Laufband, nicht wahr, und er bewegt sich senkrecht hinauf und hinunter, wie ein Aufzug. Beides zusammen ergibt fast von selbst die Bewegung eines Riesenrads.“
„Aha,“ sagte die Nachbarin, „und was sagt uns das?“
„Sehen Sie,“ antwortete Herr K. „darüber denke ich gerade wieder ganz
neu nach. Ich frage micht: Was ist der Unterschied zwischen einer
Eisenbahn und einem Riesenrad?“
„Das ist nun wirklich nicht sehr schwierig!“ sagte die Nachbarin, „das
kann sogar ich Ihnen sagen: kein Mensch käme auf die Idee, Riesenräder
in Tunnels zu bauen, weil das Fahren mit freier Sicht sehr viel mehr
Spass macht. Wie ist es nur möglich, dass Leute auf die Idee kommen, ganze Städte mit Eisenbahntunneln zu unterhöhlen?“
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278
Herr K. und die Gewalt
„Es ist an der Zeit, dass wir über Gewalt reden,“ sagte Herr K..
„Warum sollten wir über Gewalt sprechen,“ fragten die Leute, „wir sind gegen Gewalt.“
„Natürlich sind wir gegen Gewalt,“ antwortete Herr K. „deshalb müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir die Gewalt einschränken können.“
„Das ist nicht ganz falsch,“ sagten die Leute.
„Um Gewalttaten zu verhindern,“ sagte Herr K. „müssen wir uns mit den Ursachen der Gewalt auseinandersetzen.“
„Das ist nicht ganz falsch,“ sagten die Leute.
„Vielleicht müssen wir sogar mit den Gewalttätern verhandeln,“ sagte Herr K..
„Wäre es nicht zuerst einmal die Aufgabe der Polizei und der Gerichte,“ fragten die Leute, „die Gewalttäter dingfest zu machen?“
„In Extremfällen,“ sagte Herr K., „könnte es vielleicht sogar sein, dass wir selbst Gewalt anwenden müssen, um schlimmere Gewalttaten zu verhindern.“
„In Extremfällen,“ sagten die Leute, „ist es in unserer Stadt sogar schon vorgekommen, dass Gewalt gegen friedliche Bürger eingesetzt worden ist, von Leuten, deren Aufgabe es gewesen wäre, die Rechte der Bürger zu schützen.“
„Es gibt Länder, in denen gerade jetzt wieder eine blutige Gewalt herrscht,“ sagte Herr K..
„Wie die Situation in anderen Ländern ist,“ sagten die Leute, „das ist manchmal schwierig einzuschätzen. Die aber, die Polizisten mit Wasserwerfern, mit Knüppeln und mit Tränengas gegen friedliche Bürger gehetzt haben, sollten diese nicht endlich vor ein Gericht gestellt werden?“
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279
Herr K. und die rasante Fahrt
„Heute hatte ich einen merkwürdigen Traum,“ sagte Herr K..
„Was hast Du denn geträumt?“ fragte seine Frau.
„Von Verkehrsschildern,“ schmunzelte Herr K..
„Von Verkehrsschildern?“ lachte seine Frau.
„Jetzt weiß ich es wieder,“ sagte Herr K., „ich habe ganz deutlich ein Einbahnstrassenschild gesehen. Aber die meisten Autos sind in die falsche Richtung gefahren.“
„Wie im richtigen Leben!“ sagte seine Frau.
„Es kam noch besser,“ erzählte Herr K., „da stand dann ein Stoppschild, aber niemand hat angehalten, und dann, dann saß ich selbst in einem Auto, das einen Berg hinunter fuhr, die Straße wurden immer steiler, und dann merkte ich plötzich, dass die Bremsen versagten.“
„Du Armer,“ sagte seine Frau, „lässt Dich die Politik auch in Deinen Träumen nicht los?“
„Aber was hat denn dieser komische Traum mit Politik zu tun?“ fragte Herr K..
„Nichts,“ lachte seine Frau, „mich hat das nur an die letzten Wahlen erinnert:
da haben die Wähler ein deutliches Warnschild aufgestellt, die alte Regierung musste gehen, aber die neuen Repräsentanten sind in die selbe Richtung weitergefahren, geradewegs auf den Abgrund zu.“
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280
Herr K. und der lang anhaltende Protest
„Jetzt demonstriert ihr seit Jahren,“ sagte Herr K. „wie lange wollt ihr denn noch protestieren?“
„In all dieser Zeit,“ sagten die Leute, „ist das Projekt nicht besser geworden, sondern nur teurer. Deshalb werden wir weiter dagegen protestieren.“
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281
Herr K. und die Juristerei
Beim Kartenspiel erwähnte Herr K., dass er als Zuschauer bei einer Gerichtsverhandlung dabei gewesen war.
„Und,“ fragten die Freunde, „hat es etwas gebracht?“
„Ich habe mich gewundert,“ sagte Herr K., „an wie wenige Details sich die Zeugen erinnern konnten.“
„Waren denn keine Fachleute dabei?“ fragten die Freunde.
„Doch, schon,“ sagte Herr K., „sogar ein ehemaliger Staatsanwalt wurde befragt.“
„Das müsste doch ein geschulter Beobachter sein,“ meinte einer der Freunde.
„Ja,“ sagte Herr K. „das stimmt, aber es war ein bisschen merkwürdig.“
„Wieso merkwürdig?“ fragten die Freunde.
„Nun ja,“ antwortete Herr K., „während die anderen Zeugen sich nicht genau daran erinnern konnten, was sie gesehen hatten, konnte der Staatsanwalt sich sehr genau daran erinnern, was er nicht gesehen hatte.“
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282
Herr K. nimmt eine wichtige Veränderung wahr
Herr K. fuhr regelmäßig von einem kleinen Vorortbahnhof, der nur acht Gleise hatte, zur Arbeit. Dort traf er morgens immer wieder die gleichen Leute, die er im Laufe der Jahre nicht wirklich kannte, mit denen er aber doch hin und wieder einige höfliche Worte wechselte.
„Mir ist aufgefallen,“ sagte Herr K., „dass Sie ein sehr pünktlicher Mensch geworden sind!“
„Aber,“ entgegnete der Angesprochene, der mit ihm auf dem Bahnsteig stand und auf den nächsten Zug wartete, „ich habe meine Gewohnheiten doch überhaupt nicht verändert!“
„Das mag sein,“ antwortete Herr K., „aber mir ist aufgefallen, dass Sie früher viel unpünktlicher waren, und jetzt sind Sie viel pünktlicher, als die S-Bahn.“
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283
Herr K. und die Erleuchtung
Bei einem Spaziergang an einem Sonntag-Nachmittag beobachtete Herr K.,
wie einige Leute eifrig leere Eimer in ein Haus hinein- und wieder aus dem Haus hinaustrugen.
„Guten Tag,“ sagte er, „was machen Sie denn hier?“
„Oh,“ sagten die Leute, „wir arbeiten an einer Verbesserung.“
„Dieses Haus ist ziemlich dunkel, aber wir tragen mit den Eimern Sonnenlicht hinein.“
„Ja geht das denn?“ fragte Herr K. erstaunt.
„Wir sind noch nicht richtig zufrieden,“ sagten die Leute, „aber morgen werden wir größere Eimer besorgen und es erneut probieren.“
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284
Käse und Politik
In der S-Bahn hatten sich einige Schüler installiert. Sie spielten mit ihren Handys herum und schnatterten.
„Was ist denn Analogkäse?“ fragte eine Schülerin, „Igitt, Pizza mit Analooogkäse!“
„Das ist so´nen Zeug aus Fett und künstlichem Aroma,“ sagte ein anderes junges Mädchen.
„Und das verkaufen die jetzt?“ fragte ein Junge.
„Ach wisst ihr,“ sagte jemand, „das ist nicht so schlimm. Wir haben uns doch auch daran gewöhnt, dass es nur noch Analog-Politiker gibt!“
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285
Herr K. und die Baustelle
Als Herr K. in einer fremden Stadt an einer großen Baustelle vorüberkam, fragte er: „Was wird denn da gebaut?“
„Das ist eine merkwürdige Sache,“ antwortete einer der älteren Herren, die am Bauzaun standen und den Kränen, den Baggern und den Lastwagen zuschauten,
„es handelt sich darum, das die Verkehrsprobleme der Stadt gelöst werden sollten.“
„Gelöst werden sollten?“ sagte Herr K. erstaunt, „ja werden die Probleme denn nicht gelöst?“
„Doch, doch,“ sagte der ältere Herr, „das hatten wir früher geglaubt; aber inzwischen bauen sie schon so lange herum, dass wir uns nicht mehr vorstellen können, dass dieses große Vorhaben jemals fertig werden wird.“
„Dieses Projekt kostet so viel Geld,“ sagte ein anderer, „dass es mehr Ähnlichkeit mit einem Bankraub als mit einer Baustelle hat.“
„Zum Glück haben wir die Polizei,“ lachte Herr K. „diese ist ja dazu da, Raubüberfälle zu verhindern!“
„Wenn dem so ist,“ sagte einer der älteren Herren, „dann besteht vielleicht doch noch Hoffnung auf einen Baustopp.“
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286
Herr K. und der Vergleich
„Stuttgart ist eine Autostadt,“ sagte Herr K., „in Stuttgart werden Luxuslimousinen gebaut.“
„Und schnelle Flitzer,“ fügten die Leute stolz hinzu.
„Der neue Bahnhof, der gebaut wird,“ sagte Herr K., „soll der Mercedes unter den Bahnhöfen werden.“
„Das glauben wir nicht!“ sagten die Leute und lachten, „er wird eher wie ein Porsche.“
„Sie meinen,“ fragte Herr K., „weil die Züge dann so schnell fahren werden?“
„Aber nein,“ sagten die Leute, „wir meinen, dass der neue Bahnhof viel zu klein wäre, viel zu teuer, und dass er viel zu viel Sprit verbrauchen würde.
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287
Herr K. und das Schnäppchen
„Ein Bekannter hat mir erklärt,“ sagte Herr K., „dass das große Bauprojekt mit viel Geld gefördert werden würde, und dass es deshalb ein Schnäppchen für die Stadt sei.“
„Ja, das stimmt,“ sagten die Leute, „es ist ein richtiges ´Schnäppchen´.“
„Es ist ungefähr so,“ sagten sie, „wie wenn wir ein Schrottauto gekauft hätten, für den Preis eines nagelneuen Ferraris.“
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288
Herr K. und der Auftrag
„Die Manager mancher Firmen führen sich auf, als wären sie die Kaiser von China!“ sagten die Leute.
„Die chinesischen Kaiser,“ sagte Herr K., „waren der Meinung, dass sie einen Auftrag des Himmels hätten.“
„Das wissen wir,“ sagten die Leute, „aber ist das nicht ziemlich lange her?“
„Doch, doch,“ sagte Herr K. „ich wollte nur erwähnen, dass ein Kaiser den Auftrag des Himmels auch verlieren konnte.“
„Oh,“ sagten die Leute, „das ist ein interessanter Hinweis.“
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289
Herr K. und der Gestank
„Irgend etwas stimmt da nicht,“ sagte jemand.
„Aber warum?“ fragten die Leute.
„Wenn der Käse wirklich gegessen worden wäre,“ antwortete jener,
„könnte dieser dann so stinken?“
http://www.parkschuetzer.de/statements/180831
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290
Herr K. versteht
Damals lebte Herr K. in einem schönen Land, dessen Berge mit grünen Wäldern bedeckt waren, und in dessen Tälern Mineralwasser sprudelte. Wer immer sich zu einer Frage von Belang oder zu einer Belanglosigkeit äußerte, konnte sicher sein, dass ihm zugehört wurde; denn das war die erklärte Politik der dortigen Regierung. Und besonders auf ihre Weltoffenheit und auf ihre Willkommenskultur waren die Bewohner jenes Landes sehr stolz.
Eine Nichte von Herrn K. lebte im Ausland, und weil er ihr etwas Gutes tun wollte, lud er sie ein, um ihr die Teilnahme an einem Sprachkurs zu ermöglichen, damit sie die geistreiche, humorvolle und lebendige Sprache jenes Landes erlernen konnte.
Leider lehnte es die zuständige Botschaft ab, ein Einreisevisum auszustellen, so dass der lernbegierigen Nichte der Weg in die damalige paradiesische Heimat von Herrn K. verstellt blieb.
Auf seine empörte Nachfrage hin, erfuhr Herr K., dass es keinen Rechtsanspruch auf Visa für Sprachkurse gebe, und dass die Ablehnung eines Visa-Antrags grundsätzlich nicht begründet werde. Allerdings könne man in diesem Fall eine Ausnahme machen: die junge Dame habe eine so schlechte Kenntnis der Landessprache, dass man ihr keinesfalls erlauben könne, an einem Sprachkurs teilzunehmen.
„Ah“, sagte Herr K., „vielen Dank für diese Auskunft. Jetzt verstehe ich das. Mit dem Lernen ist das wie mit dem Essen.“
„Das verstehe ich jetzt wiederum nicht“, sagte die freundliche Dame der Botschaft, „wie meinen Sie das denn?“
„Das ist doch klar“, sagte Herr K. „wer eine Sprache nicht schon kann, der sollte nicht an Sprachkursen teilnehmen; und wer nicht schon satt ist, der sollte auch nicht essen“
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291
Herr K. und die Korrektur
„Mehrheit ist Mehrheit,“ sagte Herr K..
„Aber Mehrheiten können sich ändern,“ sagten die Leute.
„Mehrheit bleibt Mehrheit,“ sagte Herr K..
„Das würde ihm so passen,“ sagten die Leute, „wenn eine einmal getroffene Entscheidung nicht mehr revidiert werden könnte.“
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292
Herr K. und die Farben
Herr K. stand am Bahnsteig und fröstelte, denn es war noch ziemlich kalt, in diesem Frühling. „In Zukunft brauchen wir zwei Fahnen,“ sagte er, „eine schwarz-gelbe und eine rot-grüne.“
„Aha,“ sagte jemand, und ein anderer fragte: „Aber wozu?“
„Damit wir immer daran erinnert werden,“ sagte Herr K., „wem wir dieses Eisenbahn-Chaos verdanken.“
„Ach was,“ sagten die Leute, „solange die Fahnen immer in der vorherrschenden Windrichtung wehen, ist die Farbe völlig egal.“
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