Offene Briefe an den Ministerpräsidenten Kretschmann

Ein weiterer offener Brief, geschrieben von der mutigen Pfarrerin Guntrun Müller-Ensslin, der Initiatorin der Stuttgarter Parkgebete, am Vorabend der drohenden Zerstörung des Stuttgarter Schlossgartens, Ende Januar 2012:

Offener Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann bzgl. drohender Baumfällungen im Mittleren Schlossgarten

Stuttgart, 25.Januar 2012

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, in diesen Tagen erwarten wir die Stellungnahme des Eisenbahnbundesamts in Bezug auf die geplanten Baumrodungen im mittleren Schlossgarten für Stuttgart 21. Aufgrund fehlender anders lautender Signale Ihrerseits in der vergangenen Zeit stehen die Zeichen für die Gegner des Großprojekts Stuttgart 21 auf Alarm, müssen wir doch davon ausgehen, dass die Fällung der Bäume im Schlossgarten, darunter vieler prachtvoller mehrhundertjähriger Riesen unmittelbar bevorsteht. Es sieht so aus, als könne nichts mehr diesen barbarischen Akt aufhalten. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle mit einem eindringlichen Appell an Sie, den Menschen, den Christen, den GRÜNEN Winfried Kretschmann wenden.

Eine auch Ihnen bekannte Mitstreiterin, die mir in den letzten anderthalb Protestjahren eine gute Freundin geworden ist, hat mir einmal geschrieben: „Ich habs ja nicht so mit der Sünde – aber die Bäume im Schlossgarten zu fällen, das ist eine!“ Recht hat sie! Unser Schlossgarten mit seinem vielfältigen Baumbestand mitten in der City, um den uns andere Städte beneiden, dieser Schlossgarten ist etwas vom besten, was Stuttgart zu bieten hat! Es will einem nicht in den Kopf, dass es möglich sein soll, die Instrumente unserer Demokratie zur Durchsetzung einer solch bodenlosen Dummheit wie der Zerstörung dieser für das Stadtklima unbedingt notwendigen Oase zu missbrauchen. Anders gefragt: Muss man wirklich zulassen, dass einem kollektiven Organismus, zu dem man selber gehört, die Lunge herausgeschnitten wird, nur weil eine Mehrheit sich dafür ausgesprochen hat, in Zukunft ohne Lunge leben zu wollen?

Da Sie vor Ihrer Wahl zum Ministerpräsidenten auf unserer Seite gegen das Projekt gestritten haben, müsste Ihnen bewusst sein, dass die Baumfällungen den neuralgischen Punkt der Bewegung treffen, an dem diese am empfindlichsten reagiert. Die Fällungen werden bei den Mitstreitern gegen S21 eine Narbe hinterlassen, die sie diesen mit Billigung Ihrer Regierung begangenen Frevel weder verzeihen noch vergessen lassen werden. Der Makel der Schlossgartenrodung wird für alle Zeit nicht nur an Ihrer grünen Partei, sondern insbesondere an Ihrer Person und Ihrem Namen kleben bleiben wie Pech, sehr zum Wohlgefallen der Projektinitiatoren, die diese unrühmliche Rolle an Sie weiterreichen konnten mit dem für sie angenehmen Nebeneffekt, die Bewegung der Obenbleiber und die GRÜNE Landesregierung zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Doch nicht nur Projektgegner und der grüne Teil Ihrer Regierung werden in Zukunft auseinanderdividiert sein, sondern auch quer durch die Partei der GRÜNEN wird sich ein Riss ziehen. Das alles wird in der Folge dazu führen, dass Ihre Partei bei einer Wahl in Baden-Württemberg in Zukunft nie wieder einen Fuß auf den Boden bekommen wird.

Ich appelliere deshalb an Sie und an die Adresse der GRÜNEN Mitglieder in der Landesregierung: Machen Sie sich nicht mit den Baumfällungen zu Handlangern der Betreiber- und Befürworterseite, die Sie nichts lieber als in der Rolle der Exekutoren jenes miesesten aller Jobs im Vorfeld ihres Bauvorhabens sehen wollen. Machen Sie sich nicht die Finger schmutzig mit diesen Fällungen, die alles konterkarieren, was Ihre Partei sich je auf die Fahnen geschrieben hat. Wer A sagt, muss nicht B sagen, wenn er erkannt hat, dass B falsch ist (Dies sagt nicht Hannah Arendt sondern Bertold Brecht). Und wer zugleich mit dem Ausgang des Volksentscheids sein Gewissen und seinen gesunden Menschenverstand wie ein unmodisch gewordenes Kleidungsstück in die Mottenkiste legt, kann irgend etwas in Sachen Demokratie nicht richtig verstanden haben. Sie wissen, wie wir alle, dass die drohenden Fällungen im Schlossgarten kein Schicksal sind. Kein Wunder ist nötig, um sie zu verhindern. Es würde genügen, wenn Sie die Argumentationsspielräume ausschöpfen würden, die Sie mit der Ausformulierung Ihres eigenen grünroten Koalitionsvertrags festgeschrieben haben.

Ein Letztes: Sie täuschen sich, falls Sie darauf bauen, dass der Protest der Obenbleiber aufhören und Sie als Regierungskoalition Ruhe bekommen werden, wenn im Schlossgarten das Opfer der Baumfällungen vollbracht sein wird. Bewegungen wie die unsere finden nur aus einem einzigen Grund ein vorzeitiges Ende: dann nämlich, wenn offensichtlich ist und man zugeben muss, dass man sich in der Sachlage getäuscht hat. Das aber ist bei uns nun gerade nicht der Fall. Uns macht jeder Tag sicherer, dass wir uns nicht täuschen. Jeder Tag bringt in Bezug auf Stuttgart 21 neue pikante, prekäre und hochpeinliche Details ans Licht, die die vielen klugen Köpfe in unserer Mitte schon lange vorhergesagt haben. Glauben Sie also nicht, die Schaffung unumkehrbarer Tatsachen werde unseren Widerstand schon zum Erlöschen bringen. Das Gegenteil wird der Fall sein. Sie werden uns nicht los, es sei denn, das Projekt stirbt, und es wird sterben. Geben Sie bis dahin nicht weiter die Marionetten im Theaterstück der Bahn, sondern steigen Sie endlich aus jener perfiden Inszenierung aus, an dessen Ende im Herzen von Stuttgart nicht nur denkmalgeschützte funktionsfähige Bausubstanz, sondern vor allem intakte Natur unwiederbringlich zerstört sein wird.

Guntrun Müller-Enßlin

Offener_Brief_an_MP_Kretschmann_wg_Baumf_llungen

Hier ein offener Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg Winfried Kretschmann, geschrieben im Dezember des letzten Jahres:

Friedensappell:
Tragen Sie bitte zum Frieden im Land bei!
Genehmigen Sie keinen Polizeieinsatz für das Projekt „Stuttgart 21″,
bevor alle entscheidenden Fragen geklärt sind!

Stuttgart, 11.12.2011

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!
Lieber Herr Kretschmann!
ich schreibe Ihnen als Mitglied der Initiative „Theolog/innen gegen Stuttgart 21″. Wir haben
im Dezember 2010 in unserer von inzwischen über 1200 ChristInnen unterzeichneten „Gemeinsamen
Erklärung“ (www.s21-christen-sagen-nein.org/gemeinsame-erklarung-vontheologinnen/)
unsere vielfältigen Bedenken gegen das Projekt „Stuttgart 21″ zum Ausdruck
gebracht. Daran hat sich durch den Volksentscheid nichts geändert. Im Gegenteil.
Mit großer Sorge nehme ich die Vorbereitungen der Polizei auf den Abriss des Südflügels und die Fällung der Schlossgartenbäume wahr. Das ist zurzeit weder rechtlich angemessen noch politisch klug. Es wird die demokratische Kultur im Lande nachhaltig beschädigen und unabsehbare Folgen für den Frieden in der Stadt und im Land haben.
Ich bitte Sie dringend: Lassen Sie das nicht zu! Tragen Sie zum Frieden im Lande bei!
Sie wissen doch: Die rechtliche Zukunft von S21 ist völlig ungewiss:

– Das zentrale Interesse der Stadt Stuttgart an S21, dass die Gleisanlagen des Kopfbahnhofs abgebaut und das Gelände überbaut werden darf, ist gerichtlich noch völlig
ungeklärt. Vielmehr muss damit gerechnet werden, dass mindestens ein Teil der
Kopfbahnhofgleise bestehen bleiben muss.

– Ob die Mischfinanzierung von S21 durch Stadt, Land und Bahn verfassungsgemäß ist,
muss noch gerichtlich überprüft werden.

– Für den Bau der Grundwassermanagement-Anlage besteht – nachdem die Wasserentnahmemenge
mehr als verdoppelt werden soll – noch keine Genehmigung. Sie wurde
dort illegal errichtet.

– Für den Abstell- und Wartungs-Bahnhof Untertürkheim ist das Planfeststellungsverfahren
noch nicht abgeschlossen.

– Für die gesamten Anlagen auf der Filder ist ein Genehmigungsverfahren noch nicht
einmal eingeleitet.

– Nicht zuletzt ist immer noch nicht geklärt, wer ggf. die (unbestreitbar entstehenden)
über 4,5 Mrd. hinaus gehenden Kosten trägt.

In einer rechtlich derart offenen Situation – von den unverändert katastrophalen Mängeln des Projekts selbst ganz zu schweigen – ohne Not ein Baurecht der Bahn mit massivem Polizeieinsatz durchzusetzen, dient auf keinen Fall dem Frieden, sondern stellt eine unangemessene Verschärfung der ohnehin labilen Situation dar.
Denn auch der Volksentscheid hat ja keineswegs eine klare Mehrheit für den Weiterbau ergeben. Vielmehr hat sich landesweit fast die Hälfte der Abstimmenden dagegen ausgesprochen.

Und das, obwohl der Volksentscheid eben gerade kein Beispiel für gelungene Demokratie
war. Vielmehr werden auch Sie sagen müssen: So etwas darf nie wieder vorkommen:

– dass ein Volksentscheid mit Millionenbeträgen aus der Wirtschaft beeinflusst wird,

– dass in unglaublichem Umfang öffentliche Körperschaften (Rathäuser, Gemeinderäte,
Landratsämter, Regionalparlamente) mit einseitigen und falschen Darstellungen Einfluss
auf die Abstimmung nehmen,

– dass selbst von staatlicher Seite aus eine Lüge zum Hauptargument der Abstimmung
erhoben wird (die Behauptung, die Ausstiegskosten betrügen für den Steuerzahler 1,5
Milliarden).

Deshalb fordere ich Sie so dringend wie herzlich auf, die Durchsetzung des Baurechts der
Bahn zu verschieben, bis alle erforderlichen Fragen gerichtsfest geklärt sind – zumindest
aber, bis mit rechtsgültiger Unterschrift die Frage der Übernahme von Mehrkosten
definitiv geregelt ist.
Das Baurecht – zumal, wenn es nur zu einem kleinen Teil überhaupt besteht – ist nicht das
höchste Recht eines Landes, dem sich alle andern Rechte unterzuordnen hätten (z.B. das des Landes auf Kostenklarheit und -wahrheit). Zumindest hat es zurück zu stehen, wenn es nicht auf für einen demokratischen Rechtsstaat angemessene Weise durchzusetzen ist. Und das ist in der aktuellen Situation nicht gegeben. Eine Landesregierung hat auch eine Verantwortung für den Frieden im Land. Nehmen Sie bitte diese Verantwortung wahr!
Mit freundlichen Grüßen
Martin Poguntke
Dattelweg 51a
70619 Stuttgart
Tel.: 0711/76 16 05 18
Mail: martin.poguntke@online.de

PS: Dieser Brief wird mit unterstützt von:
Friedrich Gehring, Michael Harr, Dieter Hemminger, Annette Keimburg, Gunther Leibbrand,
Guntrun Müller-Enßlin, Wolfgang Schiegg, Martin Schmid-Keimburg, Dorothea
Ziesenhenne-Harr.
Er geht an einen breiten Presseverteiler und an verschiedene Internetseiten.
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